DER TYPUS DES KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG THOMAS MANNS. 325
verwalten. So kehrt er mit Fleiß die positiven Seiten in dem Bilde
des Künstlertums hervor und versammelt alle Akzente auf diese Seite,
während die Skepsis Tonios mit Vorliebe auf das Problematische hin-
weist; das strenge Bild Aschenbachs schließt alle Ironie als stilwidriges
Element aus. Es ist in jedem Belang auf eine eigentümliche zarte
Heldenhaftigkeit zugeschnitten, die eine Leistung vollbringt, die schein-
bar weit das Maß der Kraft überragt. Dies ist der entscheidende
Punkt, in dem sein Schicksal wurzelt. Diese Moralität klingt schon
im Bilde Tonios an, ja bereits Bajazzo steht vor der Alternative: Held
oder Narr! — aber in ungetrübter Reinheit erscheint dieser Herois-
mus der Schwäche erst in der Persönlichkeit Aschenbachs ausge-
prägt, er erst stellt den Thomas Mann eigenen Heldentyp in seiner
klassischen Form dar, nach innerer wie äußerer Haltung und Gebärde.
Die Lebensüberzeugung, zum Außerordentlichen verpflichtet zu sein,
bestimmt im tiefsten Grunde das Charakterbild Aschenbachs, seine
Auffassung vom künstlerischen Beruf und künstlerischer Arbeit. Diese
herbe Strenge prägt auch seinen Stil. Seine Kunst ist ihm Beruf, Amt,
Dienst, dichterisches Schaffen »hohe Mühsal«, ein »heilig nüchterner
Dienst des Alltags«. Er übt ihn aus mit der Zucht und Strenge der
Vorfahren, die die höchsten, letzten Anforderungen an sich selber
stellt, mit der fast dienstlichen Pünktlichkeit, die jeden Tag zur be-
stimmten Stunde antritt, um die gehütete und gesammelte Lebens-
energie einer hohen Pflicht zu opfern. So türmt er Schicht um Schicht
in verzehrender Arbeit ungezählter Stunden den Wunderbau des Kunst-
werkes, den verzeihliche Unkenntnis für den Wurf des Genies hält. So
wird sein Werk zum Denkmal seiner Sittlichkeit. Zuchtvoller Fleiß
ringt der Schwäche geniale Wirkungen ab. Aschenbach-Mann stellt
sich damit zu den großen »Arbeitern« unter den Künstlern, an die Seite
eines Flaubert, Balzac, Dostojewski, Ibsen. Ihm gibt sich die »Form«
nicht widerstandslos zu eigen wie dem fahrlässigen Dilettantismus,
der keine Form hat, weil er keine Schwierigkeiten kennt oder erkennt,
Tür ihn gibt es nicht verschiedene Möglichkeiten, für ihn gibt es nur
eine Form, die ihren Zweck erfüllt. Sie will gefunden, errungen,
erarbeitet sein — ungeachtet aller Meisterschaft, deren er sich jeden
Augenblick sicher weiß; will umworben sein in kalter Leidenschaft
und verzehrender Inbrunst. Es ist nicht nur das ästhetische Empfinden
Tonios, das seinen Stil formt, sondern eine Art schöpferischen Ver-
antwortlichkeitsgefühls. Die Gefahr bloßen Artistentums, die
Tonio bedroht, erscheint aufgehoben durch das Bewußtsein einer
sittlichen Verpflichtung. Die synthetische Vereinfachung des Men-
schen und des Künstlers spiegelt sich wider in der stilistischen
Haltung. Der Stil Aschenbach-Manns wirft im Stadium voller Reife
verwalten. So kehrt er mit Fleiß die positiven Seiten in dem Bilde
des Künstlertums hervor und versammelt alle Akzente auf diese Seite,
während die Skepsis Tonios mit Vorliebe auf das Problematische hin-
weist; das strenge Bild Aschenbachs schließt alle Ironie als stilwidriges
Element aus. Es ist in jedem Belang auf eine eigentümliche zarte
Heldenhaftigkeit zugeschnitten, die eine Leistung vollbringt, die schein-
bar weit das Maß der Kraft überragt. Dies ist der entscheidende
Punkt, in dem sein Schicksal wurzelt. Diese Moralität klingt schon
im Bilde Tonios an, ja bereits Bajazzo steht vor der Alternative: Held
oder Narr! — aber in ungetrübter Reinheit erscheint dieser Herois-
mus der Schwäche erst in der Persönlichkeit Aschenbachs ausge-
prägt, er erst stellt den Thomas Mann eigenen Heldentyp in seiner
klassischen Form dar, nach innerer wie äußerer Haltung und Gebärde.
Die Lebensüberzeugung, zum Außerordentlichen verpflichtet zu sein,
bestimmt im tiefsten Grunde das Charakterbild Aschenbachs, seine
Auffassung vom künstlerischen Beruf und künstlerischer Arbeit. Diese
herbe Strenge prägt auch seinen Stil. Seine Kunst ist ihm Beruf, Amt,
Dienst, dichterisches Schaffen »hohe Mühsal«, ein »heilig nüchterner
Dienst des Alltags«. Er übt ihn aus mit der Zucht und Strenge der
Vorfahren, die die höchsten, letzten Anforderungen an sich selber
stellt, mit der fast dienstlichen Pünktlichkeit, die jeden Tag zur be-
stimmten Stunde antritt, um die gehütete und gesammelte Lebens-
energie einer hohen Pflicht zu opfern. So türmt er Schicht um Schicht
in verzehrender Arbeit ungezählter Stunden den Wunderbau des Kunst-
werkes, den verzeihliche Unkenntnis für den Wurf des Genies hält. So
wird sein Werk zum Denkmal seiner Sittlichkeit. Zuchtvoller Fleiß
ringt der Schwäche geniale Wirkungen ab. Aschenbach-Mann stellt
sich damit zu den großen »Arbeitern« unter den Künstlern, an die Seite
eines Flaubert, Balzac, Dostojewski, Ibsen. Ihm gibt sich die »Form«
nicht widerstandslos zu eigen wie dem fahrlässigen Dilettantismus,
der keine Form hat, weil er keine Schwierigkeiten kennt oder erkennt,
Tür ihn gibt es nicht verschiedene Möglichkeiten, für ihn gibt es nur
eine Form, die ihren Zweck erfüllt. Sie will gefunden, errungen,
erarbeitet sein — ungeachtet aller Meisterschaft, deren er sich jeden
Augenblick sicher weiß; will umworben sein in kalter Leidenschaft
und verzehrender Inbrunst. Es ist nicht nur das ästhetische Empfinden
Tonios, das seinen Stil formt, sondern eine Art schöpferischen Ver-
antwortlichkeitsgefühls. Die Gefahr bloßen Artistentums, die
Tonio bedroht, erscheint aufgehoben durch das Bewußtsein einer
sittlichen Verpflichtung. Die synthetische Vereinfachung des Men-
schen und des Künstlers spiegelt sich wider in der stilistischen
Haltung. Der Stil Aschenbach-Manns wirft im Stadium voller Reife