442 F- ADAMA VAN SCHELTEMA.
änderüchen, willkürlichen Linien zu tun ist, geht daraus hervor, daß
diese Tiere langsam aber sicher in ihre Teile zerlegt werden. Kopf,
Rumpf, Gliedmaßen hängen nicht mehr unter sich zusammen, sie
liegen wie zufällig nebeneinander. Schon bald geht dieser Mangel
an Interesse für den natürlichen, konkreten Zusammenhang so weit,
daß wir nur noch mühsam die zusammengehörigen Teile, die zunächst
doch wirklich noch vorhanden sind, zurückfinden können; dann ist
auch das nicht mehr der Fall, es fehlt ein Kopf, ein Fuß, und schließ-
lich wird die ganze Fibel durch ein Ragout aus Rumpf- und Fußteilen
(mit gelegentlich eingefügtem Kopf bedeckt), in dem wenig Tierisches
mehr zu entdecken ist. Hiermit ist nun aber zugleich ein anderer
Vorgang angedeutet: die ursprünglich außen auf dem Rand sitzenden
Tiere verschmelzen mit dem Fibelkörper selbst. Sie bilden erst einen
geschlossenen Rand, der sich dann innerhalb der Fuß- oder Kopfplatte
selber wiederholt und schließlich zu einem Flächenornament ausbreitet,
das die ganze Platte ausfüllt (Abbildung 9).
Hiermit ist das Ende der ersten Entwicklungsphase in der Tier-
ornamentik erreicht. Die fremden Tiere, die sich von außen auf diese
Fibeln niederlassen, werden wie Insekten auf den Blättern der fleisch-
fressenden Pflanze aufgesaugt und verdaut, die fremden Formen werden
abgebaut und einverleibt. Ich bezweifle, daß diese Auflösung nur als
eine negalive Erscheinung, als Abbauprozeß, zu bewerten ist. Dafür
ist die Form der Abbauprodukte und die Stelle, die sie auf den Fibeln
einnehmen, zu konstant, es kommt sogar vor, daß man fast identischen
Stücken in Italien, Weimar und Ostpreußen begegnet. Wie dies nun
auch sei, jedenfalls ist es klar, daß die Auflösung eine äußerste Grenze
erreicht hatte und neue Formen, ein neuer Ausdruck, nur auf anderem
Wege entstehen konnten.
Dieses Suchen nach einem neuen Ausdruck kennzeichnet den
merkwürdigen Entwicklungsgang in der zweiten Phase. Salin spricht
von einer »Renaissance c< der Tierornamentik, gibt jedoch zu, daß die
neu entstehenden Tiere nicht weniger unnatürlich sind als die der
zweiten Phase. In Wirklichkeit haben wir nicht mit einer Renaissance,
sondern mit einer Reorganisation des Tierornaments zu tun. Die
Abbauprodukte der ersten Phase werden neu organisiert, aber jetzt auf
nordischer Grundlage. Man überwindet die heillose und schließlich
nichts mehr sagende Verwirrung in dem isolierten Nebeneinander der
Tierfragmente, man sieht ein, daß dieses wiederholte Zerhacken der
Teile keine Bewegung, kein Leben aufkommen läßt. Man will vor
allem durchgehende Linien, die zwar wild bewegt sind, sich verschlingen
und an denen sich an den unerwartetsten Stellen Köpfe und Glied-
maßen ansetzen, die aber bei all diesem phantastischen und dramati-
änderüchen, willkürlichen Linien zu tun ist, geht daraus hervor, daß
diese Tiere langsam aber sicher in ihre Teile zerlegt werden. Kopf,
Rumpf, Gliedmaßen hängen nicht mehr unter sich zusammen, sie
liegen wie zufällig nebeneinander. Schon bald geht dieser Mangel
an Interesse für den natürlichen, konkreten Zusammenhang so weit,
daß wir nur noch mühsam die zusammengehörigen Teile, die zunächst
doch wirklich noch vorhanden sind, zurückfinden können; dann ist
auch das nicht mehr der Fall, es fehlt ein Kopf, ein Fuß, und schließ-
lich wird die ganze Fibel durch ein Ragout aus Rumpf- und Fußteilen
(mit gelegentlich eingefügtem Kopf bedeckt), in dem wenig Tierisches
mehr zu entdecken ist. Hiermit ist nun aber zugleich ein anderer
Vorgang angedeutet: die ursprünglich außen auf dem Rand sitzenden
Tiere verschmelzen mit dem Fibelkörper selbst. Sie bilden erst einen
geschlossenen Rand, der sich dann innerhalb der Fuß- oder Kopfplatte
selber wiederholt und schließlich zu einem Flächenornament ausbreitet,
das die ganze Platte ausfüllt (Abbildung 9).
Hiermit ist das Ende der ersten Entwicklungsphase in der Tier-
ornamentik erreicht. Die fremden Tiere, die sich von außen auf diese
Fibeln niederlassen, werden wie Insekten auf den Blättern der fleisch-
fressenden Pflanze aufgesaugt und verdaut, die fremden Formen werden
abgebaut und einverleibt. Ich bezweifle, daß diese Auflösung nur als
eine negalive Erscheinung, als Abbauprozeß, zu bewerten ist. Dafür
ist die Form der Abbauprodukte und die Stelle, die sie auf den Fibeln
einnehmen, zu konstant, es kommt sogar vor, daß man fast identischen
Stücken in Italien, Weimar und Ostpreußen begegnet. Wie dies nun
auch sei, jedenfalls ist es klar, daß die Auflösung eine äußerste Grenze
erreicht hatte und neue Formen, ein neuer Ausdruck, nur auf anderem
Wege entstehen konnten.
Dieses Suchen nach einem neuen Ausdruck kennzeichnet den
merkwürdigen Entwicklungsgang in der zweiten Phase. Salin spricht
von einer »Renaissance c< der Tierornamentik, gibt jedoch zu, daß die
neu entstehenden Tiere nicht weniger unnatürlich sind als die der
zweiten Phase. In Wirklichkeit haben wir nicht mit einer Renaissance,
sondern mit einer Reorganisation des Tierornaments zu tun. Die
Abbauprodukte der ersten Phase werden neu organisiert, aber jetzt auf
nordischer Grundlage. Man überwindet die heillose und schließlich
nichts mehr sagende Verwirrung in dem isolierten Nebeneinander der
Tierfragmente, man sieht ein, daß dieses wiederholte Zerhacken der
Teile keine Bewegung, kein Leben aufkommen läßt. Man will vor
allem durchgehende Linien, die zwar wild bewegt sind, sich verschlingen
und an denen sich an den unerwartetsten Stellen Köpfe und Glied-
maßen ansetzen, die aber bei all diesem phantastischen und dramati-