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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0088
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Besprechungen.

Wilhelm Dilthey, Gesammelte Schriften. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin
1914-1924, Bd. I, II, IV, V, VI.

Mit der schönen Gesamtausgabe der Diltheyschen Schriften, von der nun
fünf Bände vorliegen, wird eine Ehrenpflicht eingelöst. Dilthey selbst sagte an
seinem 70. Geburtstage, als in einer mir unvergeßlichen Vormittagsstunde Freunde
und Schüler in seinem Arbeitszimmer ihm gegenüber standen: er fühle sich »von
Fetzen umgeben«. Er meinte, daß er wie Leibniz nur feuilles voiantes in die Welt
habe ausgehen lassen, und er vermißte schmerzlich das Dasein eines abgeschlosse-
nen und abschließenden Werkes. Übersieht man jetzt, was in den großen und um-
fänglichen Bänden aufgehäuft ist, so bemerkt man nicht nur eine Fülle, sondern
auch eine gewisse Vollendung. Als meine Altersgenossen und ich in die Wissen-
schaft eintraten, war Dilthey schon bei Jahren. Er erschien uns äußerlich als ein
lebendiger, gesprächiger, freundlich gesinnter, dem Leben zugeneigter Rheinländer.
Zugleich aber war er auch ein Greis, von Geheimnissen umwittert. Dieser Eindruck
wiederholt sich, wenn man in den Schriften liest. Es ist das Wirkliche, das erleb-
bare Leben, von dem sein Nachdenken ausgeht, aber dies Leben bedeutet zugleich
ein Mysterium magnum. Nirgends bekundet es sich so unzweideutig wie in der
Kunst. Dilthey fühlte sich innerlichst mit den Dichtern verbunden und sprach auch
gern von dem Dichter in ihm selbst. Er liebte Musik und suchte nach einem Ver-
hältnis zur Malerei. Frühzeitig begann seine Auseinandersetzung mit der Ästhetik.
Im Jahre 1868 erschien die kleine Schrift »Dichterische Einbildungskraft und Wahn-
sinn«. Etwa 20 Jahre später legte er Bausteine für eine Poetik vor unter dem Titel
»Die Einbildungskraft des Dichters«. Dann folgte noch 1892 ein längerer Aufsatz
über die drei Epochen der modernen Ästhetik. Aber auch sonst ist sein ganzes
Werk voll von Bemerkungen über Angelegenheiten der Kunst und des Schönen.
Überall tritt als Leitgedanke die Erwägung hervor, daß aus dem Erleben, aus den
Beziehungen seelischer Grundverhaltungsweisen die objektive Wirklichkeit, so auch
die der Kunst, wahrhaft verstanden werden könne. Man wird es bezweifeln dürfen,
ob die Gesetzmäßigkeit des ästhetischen Bewußtseins in der Tat das Gefüge des
Kunstwerkes ohne Lücken und ohne Überschneidung in sich trage. Aber man wird
unbedenklich sagen dürfen, daß Diltheys Lehre einen nachhaltigen und förderlichen
Einfluß auf die Entwicklung unserer gegenwärtigen Ästhetik ausgeübt hat.

Um die Herausgabe des Diltheyschen Lebenswerkes haben sich Georg Misch
(mit einer sehr ausführlichen Darlegung), sowie Hermann Nohl und Bernhard Groet-
huysen verdient gemacht, nicht minder aber auch der Verleger B. G. Teubner.

Berlin.

Max Dessoir.

Utitz, Emil, Charakterologie. Pan-Verlag Rolf Heise, Charlottenburg 1925.
VII u. 398 S. 8°.

Die Begriffsbestimmung, die Emil Utitz dem Gegenstande der Charakterologie
gibt, besagt: »Charakterologie ist die (Lehre von der) Persönlichkeit, gesehen unter
 
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