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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Schorn, Karl: Kunst und Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0087

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BEMERKUNGEN.

77

seine Ebene zwar verlegt, nie aber verläßt, ein Vorgang, der in dem konzentrisch-
exzentrischen Entwicklungsvorgang der Natur, von Knospe zu Blüte, zu Frucht, zu
Samen usf., ein Gleichnis hat.

Sinn erscheint also als ein Organismus, der auf seiner jeweils begreifbaren Ebene
stets in sich vollendete Einheit ist, zugleich aber alle in Richtung auf den Voll-
endungszustand hin in sich gelegenen Möglichkeiten in kontinuierlicher Entwicklung
aus sich heraus verwirklicht. Sinn also als kontinuierlicher Wechsel der Oestaltungen,
durch welche der schöpferische, göttlich-menschliche Wirklichkeitswille vom sinn-
losen Chaos zum vollendeten Kosmos strebt. Der Sinnweg erscheint als eine Be-
wegung, in welcher statische und dynamische, konzentrische und exzentrische Stre-
bungen ineinander aufgehen: Die konzentrischen Sinnebenen um die gemeinsame
Sinnachse gelagert, als kontinuierliche Ebene also um ihre vom Chaos zum voll-
endeten Kosmos strebende Achse sich fortbewegend, schaffen die Spirale des Sinn-
raums.

Kunst als Teilnahme an der immerwährenden Schöpfung, als Sinngestaltung
des uranfänglich sinnlosen Chaos zum sinnvollendeten Kosmos hin: Von hier aus
erst wird es möglich, zu einer letzten Wertung des Kunstwerks und des in ihm
zum Ausdruck gebrachten künstlerischen Wollens selbst zu gelangen. Kann nämlich
der Wert eines Kunstwerks als das Können, mit welchem das in ihm wirkende und
aus ihm abzuleitende gestaltende Wollen zum Ausdruck gebracht ist, innerhalb des
Bereichs des Kunstwerks selbst ermessen werden, so kann die Wertung dieses
künstlerischen Wollens selbst nur von einer dem Kunstwerk übergeordneten Ebene
her erfolgen.

Gewertet aber wird dieses künstlerische Wollen daran, ob es Teil hat an jenem
göttlich schöpferischen Wollen, das vom Chaos zum vollendeten Kosmos strebt,
ob es sich also in Richtung der Sinnbejahung und -Vollendung, und in welchem
Umfange, welcher Intensität, äußert. Denn künstlerisches Wollen ist immer schöpfe-
risches Wollen, Wille zum sinnvollendeten Kosmos, ob es nun positiv sinngestal-
tend oder den falschen Sinn, den Irr-sinn, den Un-sinn zerstörend für die Sinn-
vollendung des Kosmos wirksam ist. Alles Wollen in Richtung auf das Chaos, auf
das Sinnlose, das rein zerstörerische, verneinende Wollen aber ist gegenschöpfe-
risches, gegenkünstlerisches Wollen. Göttlicher Schöpfungswille tritt hier gegenüber
dem satanischen Vernichtungswillen.

Das künstlerische Wollen als Wille zur Schöpfung, zur Sinnvollendung des
Kosmos, als dem göttlichen gleichgerichtetes Wollen, hier erst wird uns jene dunkle
Erfahrung von einer zugleich ethischen und religiösen Wertigkeit jedes wahrhaft
schöpferischen Kunstwerks in ihrer letzten Wurzel erhellt. Es handelt sich hierbei
nämlich weder um eine ethische Wertigkeit, die durch Unterordnung unter das
spezielle ethische Sollen wirksam wird, noch um eine religiöse Wertigkeit, die sich
innerhalb des Spannungsverhältnisses Gott-Mensch auswirkt. Vielmehr stehen wir
hier an der Wurzel, aus der zugleich mit der künstlerischen alle mögliche letzte
Wertigkeit überhaupt Ursprung nimmt, aus dem göttlich-schöpferischen Wollen
selbst nämlich. Der künstlerisch schöpferische Mensch will und schafft also zugleich
immer das Gute, nicht nach einem Gesetz, sondern in dem Gesetz und als Gesetz,
aus dem göttlich-schöpferischen Willen heraus, woher alles Gesetz Ursprung hat.
So will und schafft er zugleich den religiösen Wert, nicht im Sinne einer Über-
wältigung des göttlich-menschlichen Spannungsverhältnisses und eines Rückstrebens
zu Gott, vielmehr im Sinne eines Ausgangs von Gott, indem der Künstler Offen-
barung bringt aus dem Willen des schaffenden Gottes selbst, und ihn verwirklicht.
 
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