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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Weber, Wilhelm: Kunst und Geschichte: (Inhaltsangabe)
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Utitz, Emil: Der neue Realismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0182

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EMIL UTITZ.

der Entwicklung ist der Parthenon. Da ist vollkommene Präzision,
mathematisches Werk zu einem Organon geworden, dem man nichts
mehr vom langen Weg anmerkt, welcher zurückgelegt ist: Klarheit,
Schönheit, Natur, Fugung, d. h. Harmonie, Harmonie bis in die einzelnen
Glieder. Alles ist aus dem Geist bewirkt und Natur geworden. Hier
ist das Streben zur Vollkommenheit mit dem vollen Sieg gekrönt. Ist
es Zufall, daß dies am Parthenon geschah? Perikles war der Bauherr,
die bauenden Künstler seine Freunde, Anaxagoras gehörte zu diesem
Kreis, der Verkünder des Geistes als des Schöpfers des Kosmos. Es
ist innere Übereinstimmung, die alle zusammenführt. Hier ist das Leben
noch einmal in den Führenden zur Einheit geworden.

Da hielt die Betrachtung inne, damit der Historiker seine Kompe-
tenzen nicht überschreite. Aber er braucht weder Theoretiker noch
Prophet zu sein. Denn jeder der Hörer zieht selbst den notwendigen
Schluß, daß Maß, Rhythmus, Harmonie vom Geist her organisch ge-
staltet auch für uns Normen sind, und, wie sie als europäisches Gut
zuerst von Griechen gestaltet worden sind, uns bald stärker denn je
mit diesen Griechen von neuem verbinden werden ...

Emil Utitz:
Der neue Realismus x).

Georg Simmel schildert einmal die seltsame Tragik des Don Qui-
chote. Wir nehmen an, daß die Qualitäten der Seele — Tapferkeit,
Edelsinn, Idealismus, Großmut — ihren Wert eben durch ihr Bestehen in
der Seele haben, als Tatsachen der Persönlichkeit, gleichviel an wel-
chem äußeren Stoff des Lebens sie sich offenbaren. An Don Quichote,
der all dies besitzt, zeigt sich, daß ein solcher Glaube falsch ist, daß
das eigentlich Irrelevante (Hammelherde statt Ritterschar), daß die bloße
Vorspiegelung des Intellekts, die doch an jenen Qualitäten gar nichts
ändert, imstande ist, das seelisch Wertvollste und Höchste in ein läp-
pisches Spiel, eine sinn- und wertlose Narrheit zu verwandeln. »Diese
Macht des Äußeren und Objektiven über dasjenige, was wir in seinem
Wesen ganz unabhängig davon glaubten, was nur als innere, von dem
Zentrum ausgehende Wirklichkeit seine Bedeutung zu haben schien —
das ist das Erschütternde des Don Quichote.« An diesem grandiosen
Symbol wird uns die ganze Tragik des Expressionismus ersichtlich:

J) Eine sehr eingehende Erörterung dieses Problems und die Auseinandersetzung
mit der Literatur bringt mein — im Druck befindliches — Buch: »Die Überwindung
des Expressionismus«; Charakterologische Studien zur Kultur der Gegenwart. Ver-
lag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1927.

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