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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Ziehen, Theodor: Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0199

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Theodor Ziehen:
Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung.

(Verhandlungsleiter: Paul Menzer.)
1.

Die Aufgabe einer allgemeinen Philosophie des Rhythmus ist
in vielen Beziehungen undankbarer als die Aufgabe einer allgemeinen
Psychologie des Rhythmus. Die gefährlichste Feindin der Ästhetik,
die sich mit ihren Modeschlagwörtern so gern in die wissenschaft-
liche Arbeit einschleicht, die Phrase, stellt gerade hier allenthalben
Fallen. Vorarbeiten liegen nur sehr spärlich vor. Zwei Aufgaben sind
es, welche sich meines Erachtens eine allgemeine Rhythmusphilosophie
stellen muß: erstens eine logische, insofern es sich darum handelt,
eine angemessene Definition oder wenigstens »Charakteristik« des Rhyth-
musbegriffes zu geben,und zweitens eine erkenntnistheoretische,
insofern versucht werden muß, den Rhythmus in die Gesamtheit alles
Gegebenen, in einen sogenannten Weltbegriff, einzugliedern und damit
auch seine allgemeine axiologische Bedeutung festzustellen.

Ich wende mich sofort zur ersten Aufgabe, also zur defini-
torisehen. Definitionen des Rhythmus sind schon sehr oft versucht
worden. Selbst wenn man von solchen absieht, die in offensichtlicher
Einseitigkeit z. B. nur den akustischen Rhythmus berücksichtigen und
den optischen, kinästhetisch-motorischen usf. vernachlässigen, bleibt
noch über ein Dutzend mehr oder weniger verschiedener Definitionen
übrig. Ich gehe von einer sehr naheliegenden Definition aus, welche
wenigstens einige Hauptmerkmale richtig angibt und etwa folgender-
maßen formuliert wird: der Rhythmus ist die Rekurrenz, d. h. die regel-
mäßige Wiederkehr von etwas Gleichem in gleichen Abständen. Das
Gleiche kann ein Reimbuchstabe oder eine Reimsilbe, eine Länge, ein
Akzent, eine Silbenzahl, ein Ornament, eine bestimmte Säulen- oder
Fensterform sein usf. Bald ist es ein bestimmtes Merkmal, bald ein
bestimmtes Ding, bald ist es einfach, bald im Sinn eines Komplexes
zusammengesetzt. Der Abstand kann zeitlich oder räumlich, aus-
nahmsweise zeitlich und räumlich sein.

Es leuchtet sofort ein, daß diese Definition in vielen Fällen zutrifft.
Anderseits erheben sich bestimmte Bedenken, die uns meines Er-
achtens zu einer Abänderung oder wenigstens Ergänzung zwingen.
 
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