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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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Schorn, Karl: Kunst und Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0086

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76

BEMERKUNGEN.

zelnd in einer Kraft, die der naturbewirkenden göttlichen Schöpferkraft wesensver-
wandt ist. Natur- und Kunstgestaltung erblicken wir nunmehr als kulissenhafte
Vordergrunderscheinungen, die sich von der göttlich-menschlichen, schöpferisch
wirkenden Kraft als ihrem gemeinsamen Wirklichkeitshintergrund hervorheben.

Versuchen wir jetzt, Kunst- und Naturerscheinung in ihrem Sinnverhältnis zu-
einander zu bestimmen, so erscheinen uns beide zunächst als Sinnbilder, als Bilder,
in denen als Sinn der Wirkungswille jener göttlich-menschlichen Schöpferkraft zum
Ausdruck gelangt. Von zweierlei Art erkennen wir die strukturelle Ausrichtung dieser
sinnbildlichen Erscheinungen, je nachdem ob das Sinnziel, auf das sie ausgerichtet
sind, als innerhalb ihrer Erscheinungssphäre selbst, oder als außerhalb derselben
belegen angenommen wird. In dem einen Falle trägt die Natur- oder Kunsterschei-
nung einen statisch-konzentrischen, im anderen einen dynamisch-exzentrischen Sinn-
bildcharakter. Dort können wir von einer sphärischen und elliptischen, hier von
einer parabolischen und hyperbolischen Zuordnung zum Sinnziel sprechen. Die
Naturerscheinung des Baumes etwa wäre als Sinnbild einer doppelten, statischen
wie dynamischen Deutung fähig; einmal als Gebärde, die über das Erscheinungs-
bereich des Baumes selbst hinausdeutet, aus Erdendunkel in Himmelslicht, aus der
Schwere, dem Verhaftetsein am Grunde ins Freie, Beschwingte; dann aber als in
sich beschlossene Einheit, als polarisches Ganzes, dessen Wurzeln im Dunkel ebenso-
weit ausladen, der Schwere ebensotief verhaftet sind, als der Wipfel sich ins Lichte,
Freie hinaufreckt und verbreitet.

Für das Kunstwerk ergeben sich hierbei folgende vier Möglichkeiten seiner
strukturellen Zuordnung zum Sinnziel: Erstens zwei Zuordnungen dynamisch-exzen-
trischer Art, indem das Sinnziel in jedem der Fälle zwar außerhalb des Kunstwerks
als Erscheinung selbst belegen ist, im ersteren Falle jedoch in der Sphäre der dies-
seitigen Erscheinungswelt verbleibt, im anderen Falle darüber hinaus »transzendiert«
und in einem Jenseits der Erscheiuungsvvelt belegen ist. Ein moderner, diesseitig
ausgerichteter Expressionismus einerseits, die Gotik anderseits könnten als histo-
rische Belege dieser beiden Möglichkeiten herangezogen werden. Die beiden Mög-
lichkeiten einer statisch-konzentrischen Zuordnung des Kunstwerks zum Sinnziel
sind die, daß in dem einen Falle das Sinnziel im Kunstwerk als Diesseitserschei-
nung selbst beruhend angenommen wird, im anderen Falle das Kunstwerk selbst
als transzendente Wirklichkeit erfaßt wird, in welchem das transzendente Sinnziel
enthalten ist. Für die erstere dieser beiden Möglichkeiten könnte die griechische
Antike, für die andere vielleicht die ägyptische und eine moderne absolute Kunst
als Belege herangezogen werden.

Kunstwerk und Naturerscheinung begreifen wir also als Sinnbilder, aus welchen
als Sinn der Wirklichkeitswille der göttlich-menschlichen Schöpferkraft zum Ausdruck
gelangt. Wenden wir uns nun der Bestimmung dieses Sinnes selbst zu, so erkennen
wir ihn von doppelter, zugleich statischer und dynamischer Struktur. Und zwar er-
scheint uns der Sinn, der uns aus einer Naturerscheinung oder einem Kunstwerk
offenbar wird, als dynamische Wesenheit dann, wenn wir ihn in den Ablauf eines
Entvvicklungsvorgangs einbezogen erkennen, der aus einem Zustande uranfänglicher
Möglichkeit zu einem solchen der Vollendung voranschreitet. Wie also das Sinnbild
nicht ein Für-Sich-Seiendes, sondern ein Repräsentatives, nämlich für den Sinn
Seiendes, ist, so ist auch der Sinn selbst, sofern er eben Zwischenstufe eines Ent-
wicklungsvorgangs ist, nicht ein Für-Sich-Seiendes, sondern ein Bezogenes, und
zwar ein auf den vollkommenen Endzustand, dessen Verwirklichung die schöpfe-
rische Kraft zustrebt, Bezogenes. Dann aber trägt der Sinn zugleich statischen, in
sich beschlossenen Strukturcharakter, indem er stets in sich selbst zentriert bleibt,
 
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