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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0131
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118

BESPRECHUNGEN.

bedingung erfüllt. Als zweite kommt alsbald das Richtungsurteil hinzu, indem
z. B. im besagten Umriß Nase und Mund als Striche, die Augen als Punkte ein-
gefügt werden. Vom Standpunkt der Kinderkunstforschung ist hier einzuwenden,
daß diese Abfolge eine rein begriffliche Ableitung bedeutet. Das Richtungsurteil
wirkt vielmehr schon vor dem Zusammenschluß durch den Umriß im sogenannten
> Schema der räumlichen Anordnung«, in dem die Teile der Menschengestalt, z. B.
Beine und Arme oder Nase, Mund und Punktaugen meist in richtigen Lagebeziehungen,
nur selten in Verlagerung, immer aber zusammenhanglos nebeneinander liegen.
Wenn Britsch weiterhin behauptet, jenes erste frontale Umrißschema des mensch-
lichen Antlitzes sei keine gerichtete Ansicht, so hat er zwar darin recht, daß es als
Symbol mehr ausdrückt — es wird nämlich die körperhafte Sehvorstellung mit
hineingedacht —, aber eben doch in die Hauptansicht des Kopfes, in die sie am
vollständigsten eingeht (ebenso in die der Gestalt). Das Richtungsurteil führt nach
Britsch als neue Denkmöglichkeit — meines Erachtens ist sie von Anfang gegeben —
zur Unterscheidung verschieden gerichteter Teilfarbflecke am oder innerhalb der
gesamten, und zwar anfangs nur der größten Richtungsgegensätze. Als Beleg ver-
weist er auf die rechtwinklige Zusammensetzung des Ästebaumes der frühen Kinder-
zeichnung und auf die gleichartige Wiedergabe der gebeugten Anne des mensch-
lichen Frontalschemas. Typische Bedeutung hat jedoch nur die Baumzeichnung, —
die Arme werden von Anfang an in verschiedenen Richtungen angesetzt und etwas
später auch gebeugt. Die Bevorzugung der Vertikale und der Horizontale entspringt
aber in beiden Fällen nicht aus einem logischen Urteil, sondern aus der rein ge-
fühlsmäßigen Übertragung der Richtungsachsen des eigenen Körpers von dem
Zeichner auf sein Geschöpf. Die Bedeutung der körperlichen Richtungsgefühle, von
denen sich in der Fläche nur die Senkrechte und die Wagerechte als Höhe und
Breite unmittelbar veranschaulichen lassen, ist von Schmarsow in seiner lichtvollen
Abhandlung (Anm.1) schon vor drei Jahrzehnten für das gesamte Kunstschaffen klar
dargelegt worden, aber his heute selbst von der wissenschaftlichen Kunstforschung
noch nicht völlig gewürdigt. Davon abgesehen, ist die Erkenntnis der Richtungs-
veränderlichkeit und des Richtungszusammenhanges der Teilfarbflecke (-Glieder), wie
Kornmann im Sinne von Britsch ausführt, in der Tat grundlegend für die zeich-
nerische Fortbildung der menschlichen und der Tiergestalt, die stillschweigend im
Grunde mit dem »Gesamtfarbfleck« immer gemeint ist (man vergleiche die Belege der
Abbildungen), zumal für ihren Bewegungsausdruck. Unrichtig ist es hingegen wieder,
wenn Britsch die Entstehung des menschlichen Profilschemas mit Hilfe seiner Formel
aus dem Verhältnis des gemeinten Teilfarbflecks A zu seiner nicht gemeinten Um-
gebung U erklären will. Das Ansetzen einer Profilnase A an den Umriß des Frontal-
schemas besagt eben nicht, daß nur dieser Teil im Gegensatz zu seinem nichtge-
meinten U als gerichtet aufzufassen ist, sondern dient ganz im Gegenteil gewisser-
maßen als ein Vorzeichen, um die Seitenwendung des ganzen Kopfes zu bezeichnen,
bevor das Kind sie als weitere Ansicht ausbildet. Recht hat Britsch nur darin, daß es
keine Vermengung beider Ansichten ist, — wohl aber ist es ein Versuch, diese ver-
schiedenen von der einheitlichen körperhaften Sehvorstellung gewonnenen Eindrücke
mit einander in einer Ansicht (beziehungsweise einem Vorstellungsbilde) zu vermitteln.
Vielleicht meint Britsch dasselbe, dann trifft aber die Auslegung des Herausgebers
nicht zu. Dasselbe gilt für das am längsten von vorn gesehene Auge des ProfiU
kopfes und vollends für die gemischte Ansicht der ganzen Menschengestalt, wie sie
am folgerichtigsten von der ägyptischen Kunst ausgebildet worden ist. Sie ist bereits

') Über den Wert der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde. Abhandl.
d. Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. 1896.
 
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