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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0132
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BESPRECHUNGEN.

119

von Heinr. Schäfer neuerdings in diesem Sinne erklärt worden (Anm.1). Aus den
ersten beiden Denkmöglichkeiten entsteht nach Britsch auch das früheste Raumbild,
indem die gleichgültige Umgebung U eines A-Bestandes von dem unbegrenzten
Gesamt-U abgegrenzt und diesem gegenüber selbst dadurch zu einem neuen A er-
hoben wird. Das geschieht zuerst durch die Hinzufügung des Bodenstrichs zu
den einzelnen nur in sich zusammenhängenden Farbflecken (Gestalten, Bäumen,
Häusern und dergleichen). Da das Richtungsurteil aber einen jeden von ihnen zu-
nächst nur zu seinem abgegrenzten U in Beziehung setzt, soll sich daraus ihre
scheinbare Umlegung nach verschiedenen Richtungen, also z. B. die ägyptische
Raumgestaltung, ergeben. Hier tritt wieder eine vermeintliche erkenntnistheoretische,
in Wahrheit aber rein begriffliche logische Deutung an Stelle der fehlenden psycho-
logischen Erklärung des Tatbestandes. Das sogenannte Raumschema der Kinder-
kunst baut sich vielmehr auf der Bodenlinie als Versinnlichung der Standfläche
ganz dem körperlichen Raumgefühl gemäß auf, durch das zunächst Höhe und
Breite gefordert werden, während die Tiefe hinzugedacht wird. Oder es kann statt
der Bodenlinie auch die Papierfläche die Standebene in einer Vogelschau versinn-
lichen, auf der dann die anderen Richtungen durch Umklappen der anders über-
haupt nicht in dieser Fläche unterzubringenden Dinge veranschaulicht werden, wie
in der ägyptischen Kunst. Zwischen beiden Anschauungsweisen gibt es verschiedene
Möglichkeiten der Verquickung, aus denen sowohl in der Kinderkunst wie in der
allgemeinen Kunstentwicklung das optische Raumbild erst allmählich herauswächst.
Trotz der Verkennung solcher Voraussetzungen und den daraus entspringenden
Fehldeutungen behält aber Britsch durchaus recht mit der Feststellung, daß alle
primitive Kunst nur auf Grund der ersten beiden Denkmöglichkeiten der Abhebung
(Begrenzung) und der Richtungsveränderlichkeit des Farbflecks gestaltet. Darauf
beruht der von ihr erreichte Grad der Einheitlichkeit in der Verarbeitung der Ge-
sichtssinneserlebnisse (beziehungsweise der künstlerische Tatbestand). Es fehlt der
Frühstufe noch die dritte Denkmöglichkeit der -Ausdehnungsveränderlichkeit«.

Dieser Grundbegriff wird vollends nur verständlich aus der stillschweigenden
Beziehung des Farbflecks auf eine Gegenstandsvorstellung. Er bezeichnet nämlich
die Erscheinung der Verkürzung oder Verbreiterung, welche die Sehforni einer
Hauptansicht in den verschiedenen Schrägansichten des betreffenden Körpers, also
z. B. eines Kopfes erfährt, was Britsch vom Standpunkt des Zeichners als ein
Quellen oder Schrumpfen, wie wir das Gegenteil bezeichnen wollen, in der Fläche
auffaßt. Für das Fehlen solcher verschobenen Sehformen (beziehungsweise dieser
dritten Denkmöglichkeit-) in der archaischen (beziehungsweise primitiven) Kunst hat
er keine Erklärung, wohl aber bietet die Psychologie eine solche. Sie ergibt sich
aus der rein vorstellungsmäßigen Gestaltungsweise aller Erinnerungskunst, da die
Erinnerungsbilder der Sehdinge erfahrungsgemäß an den sogenannten orthoskopi-
schen Hauptansichten haften, die wir daher geradezu als Uransichten der Kunst
betrachten dürfen. Die Fähigkeit des ausdehnungsveränderlichen Vorstellens ist dem-
gegenüber erst eine Errungenschaft der späteren Entwicklungsstufe. Dieser Satz von
Britsch hat seine volle Berechtigung. Auch seine Behauptung, daß sie aus der
Weiterbeurteilung der archaischen Sehformen, d. h. also der Uransichten, entspringt,
scheint wenigstens für die griechische Kunst des 5. Jahrhunderts v. Chr. zuzutreffen,
in der die Verkürzung zuerst angewandt und mit ihrer Hilfe die Schrägansichten
entwickelt wurden. Das lehrt anscheinend die rotfigurige Vasenzeichnung. In der
Frührenaiäsance sind sie hingegen unmittelbar von dem Naturvorbilde im Sinne

') H. Schäfer, Von ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. 2. Aufl., Leip-
zig 1922; vgl. meine Besprechung D. Lit.-Zeitg. 1923, Nr. 13/24.
 
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