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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Forstreuter, Kurt: Das Rollengedicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0030
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II.

Das Rollengedicht.

Von

Kurt Forstreuter.

Börnes von Münchhausen berührt in seiner Sammlung von »Meister-
balladen« (Stuttgart 1923, S. 47—57) auch eine Balladengruppe, die er
als »geschichtliche Lieder« bezeichnet und deren Charakteristikum
darin liegt, daß nicht der Dichter das Gedicht vorträgt, sondern daß
er wie im Drama sich aus dem Vortrag zurückzieht und eine Gestalt
seiner Dichtung reden läßt. Diese zunächst dramatisch anmutende
Technik, die hier auf balladischem Gebiet begegnet, findet auf epi-
schem Gebiet ihr Gegenstück in der Form der Icherzählung.

Nicht von Münchhausens Aufsatz, der nur eine neue Anregung
gab, sondern von meiner Schrift über die »Deutsche Icherzählung«
(Berlin 1924) sind die folgenden Untersuchungen ausgegangen. Sind
doch die Grenzen von Epos und Ballade durchaus fließend, und die
Anwendung der Ichform macht es noch schwieriger, eine Dichtung
in ihrem Verhältnis zu den poetischen Gattungen zu bestimmen; denn
die Ichform selbst ist etwas Problematisches, sie bedeutet etwas anderes
in Drama, Epos oder Lyrik. Die Dichtungsart, die im folgenden be-
stimmt und analysiert werden soll, wird am prägnantesten als »Rollen-
gedicht« bezeichnet. Diese weite Definition erlaubt es, nicht bei der
Ballade stehen zu bleiben, sondern nach rechts auf die Epik, nach
links auf die Lyrik einen Blick zu werfen. Zugleich ist in dem Namen
-Rollengedicht« bereits der dramatische Einschlag dieser Dichtungsart
enthalten.

Jede Dichtungsform entspringt, ebenso wie jede einzelne Dichtung,
der dichterischen Phantasie, die wiederum in dem Erlebnis des Dichters
wurzelt. Die Stellung des Dichters in der Dichtung ist nirgends so
problematisch wie im Rollengedicht, wo der Dichter als Vermittler
der Dichtung nicht faßbar ist. Zwischen ihm und seinem Publikum
steht eine Mittelsperson, der Rollenheld. Im Drama wird diese Art des
Vortrags schon durch die Absicht einer szenischen Darslellung ver-
langt: auf dem Theater will man die handelnden Personen, nicht den
Dichter reden hören. Ferner ist das Rollengedicht kein Dialog, die

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