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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Mayer, Adolf: Karikatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0458
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Bemerkungen.

Karikatur.

Von

Adolf Mayer.

Allegorie ist der Versuch einer Verwandlung wissenschaftlicher Begriffe in
künstlerisch Darstellbares; Karikatur umgekehrt die Einführung eines kritischen,
also wissenschaftlichen Elements in die Kunst. Aber inwiefern ist dann die letztere
überhaupt noch Kunst?

Eine jede Karikatur besteht in der vielfachen Übertreibung irgend welcher be-
obachteten, von dem Normalen abweichenden Eigenschaften, die man an einem
darzustellenden Gegenstand, gewöhnlich einer Person, wahrgenommen hat. An dieser
Tatsache dürfte wohl kein Zweifel bestehen. Der Sinn der Karikatur ist immer,
durch Übertreibung anschaulich zu machen, wohin eine Abweichung vom Normalen
im äußersten Falle führen könnte, wenn die Momente, die sie veranlassen, allein
am Werke wären. So kann der Karikaturist zum Erzieher werden, wobei freilich
vorausgesetzt zu sein scheint, daß die Erscheinung, die er aufs Korn nimmt, vom
Menschen beeinflußt werden könnte, und das ist ja selbst bei Körperformen der
Fall, denn Lebensweise und Gedanken bilden zuletzt wenigstens bis zu einem ge-
wissen Grade auch diese. — Aber warum überhaupt Übertreibung? Wenn einer
eine zu große Nase oder zu kleine Augen hat, so sieht man es doch. — Warum
die Entstellung noch unterstreichen, wenn auch gar nicht zu verlangen ist, daß
alles und jedes mit dem Mantel der Liebe bedeckt, d. h. im vorliegenden Falle ver-
tuscht werden soll. Im Sinne des Naturalismus liegt ein solches Vergrößern der
vorhandenen Mängel doch jedenfalls nicht, und warum sollte der Idealismus, auch
wenn er seine Berechtigung hat, nun auf einmal negativ werden?

Dies letztere kann doch nur der Fall sein, wenn die Absicht die entgegengesetzte
ist der gewöhnlichen Kunst, die, da sie die Welt nicht bessern kann, es unternimmt,
über deren Unzulänglichkeiten eine Weile hinwegzutäuschen. Ist dies so, dann wäre
der Karikaturenzeichner oder Dichter ja gar kein Künstler, sondern das genaue
Gegenteil davon. Wie kommt es aber dann, daß er als Künstler gewertet wird?

Wenn die Übertreibungen der Karikatur ins Ungemessene gingen, so würde
das Unkünstlerische des Verfahrens alsbald unwidersprechlich sein und sich auch
als solches praktisch auswirken, da solche Übertreibungen schlechterdings scheuß-
lich gefunden werden würden, gleichwie die gehässigen Übertreibungen bloß unge-
zogener und dabei unbegabter Buben. Aber die gute Karikatur hat eine Grenze, die
über das in der vom Künstler wohlgekannten Natur Vorhandene nicht hinausgeht.
Im schlimmsten Falle malt der Karikaturenzeichner dem Großohrigen ein Paar Esels-
ohren, dem Großmäuligen einen Löwenrachen, dem Dickbäuchigen einen Frosch-
bauch usw. und zur Abmessung dieser durch die Natur gegebenen Grenze gehört eben
Maßhalten und künstlerische Geschicklichkeit. Und auch der Karikaturist schafft
insofern eine bessere Welt, gleichwie es jeder andere Künstler tut, als er seinem
 
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