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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0477
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464

BESPRECHUNGEN.

schiedenheit der Körperkonstitution eine für alle Individuen in gleicher Weise gel-
tende Norm der Körperkultur unmöglich macht.

Den zahlreichen Fragen, die durch die moderne Körperkulturbewegung und
den Begriff »Körperseele« gestellt werden, geht der Verfasser in scharf pointierten
Ausführungen nach. Er kommt dabei durch Heranziehung von Forschungsresultaten
aus anderen Gebieten zu Ergebnissen, denen auch praktischer Wert zukommt. Durch
die Verwertung der Konstitutions- und Typenforschung zeigt er die Unmöglichkeit
eines für alle Körperformen gleichmäßig auswertbaren Körpererziehungssystems.
Dies bedeutet für alle heutigen Gymnastiksysteme die Forderung nach größerer
Elastizität ihrer Methodik. Des weiteren ist von großem Wert die Diskussion der
Frage, in welchem Verhältnis die Kultur der leiblich-seelischen Lebenseinheit zum
Tanz steht. Uber die allgemeine Einstellung der heute bestehenden Richtungen und
Systeme, über ihren Stil und geistigen Habitus werden treffsichere Bemerkungen
gemacht. Die Abbildungen, die vor den Textteil gebunden sind, um sie ohne Be-
einflussung durch die Ausführungen des Verfassers wirken zu lassen, sind sehr gut
ausgewählt, soweit ich das nach meiner Kenntnis der Arbeit in den einzelnen
Schulen sagen kann. In mancher Einzelheit würde man gern der Charakterisierung
der Schulen noch einige Züge hinzugefügt sehen, die allerdings nicht durch Abbil-
dungen illustriert werden können. So z. B. die mannigfache Einstellung zum Raum
bei Laban oder die okkultistische Bedeutungsträchtigkeit in den Tänzen der Lohe-
länder. Im ganzen aber ist das Buch eine der besten Übersichten über die heutigen
Bestrebungen zur Verwirklichung der Körperseele.

Berlin. Christian Herrmann.

Zilsel, Edgar, Die Entstehung des Geniebegriffes. Tübingen 1926,
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). 346 S.

Diese neue Schrift Edgar Zilsels wünscht von dem Geist »lebendiger Wissen-
schaft«; der modernen Volkshochschule Zeugnis zu geben. Aber es ist mir kaum
ersichtlich geworden, worin sie sich von wertvoller rein akademischer Universitäts-
arbeit scheidet. Auch sie hat sich jedenfalls mit bester Akribie in zahlreiche »ge-
lehrte Einzelfragen« versenkt, und auch sie kämpft sogar mit einem beträchtlichen
Ballast von zunächst recht spröden und unbelebten literarischen Stoffmassen. Aber
gleichgültig, wo die Geburtsstätte der Arbeit zu suchen ist, es handelt sich hier
unter allen Umständen um eine außerordentlich eindringliche, kenntnisreiche und
dankenswerte Historikerleistung, die von einer scheinbar ästhetisch-historischen
Spezialfrage her mit größtem Geschick zu sehr fesselnden, allgemein geistesgeschicht-
lichen Resultaten vorzudringen strebt.

In der griechisch-römischen Antike findet Zilsel nur sehr wenige Motive unserer
modernen Genieverehrung vorgebildet, und er findet sie niemals zu einer geschlosse-
nen Leitidee verfestigt. In Piatos Lehre von der göttlichen Besessenheit der Dichter
und Musiker, in dem antiken Heroenkult, in Ciceros Phantasie von einem Helden-
himmel römischer Feldherrn und Staatsmänner, in den zahlreichen griechischen und
römischen Sammelbiographien (,rzzp\ ev8ö;uiv avSpAv" und >de viris illustribus«), ja
selbst in Longins Verehrung der <p"3'? sieht Zilsel nur scheinbar verwandte

Vorläufer moderner Genievorstellungen. Diese Kluft zwischen Antike und Moderne
aber erscheint ihm letzthin soziologisch bedingt: das »Publikum« der altgriechischen
und römischen Autoren und Künstler war nicht, wie später, eine breite Schicht
von erwerbstätigen und wirtschaftlich arbeitsamen Massen, sondern nur eine kleine
Schar von Rentnern und von wirtschaftlich souveränen Mäzenen. Deshalb fehle
hier das betonte Bedürfnis, das Genie ständig von den Mengen der »Dutzend-
 
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