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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Heilbronn, Magda: Kants Schematismus der reinen Verstandesbegriffe, die Umkehrung desselben, seine Beziehung zur bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0073
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BEMERKUNGEN.

59

Es ist zwar auf keine Art zu beweisen, daß wjr im Besitz einer Sinnlichkeit
sind, die sich allem Begriff widersetzt. Denn da diese Sinnlichkeit als absoluter
Gegensatz alles Verständigen vorgestellt wird, da ein Beweis aber — in der Logik
des Schließens — auf das Vorhandensein gemeinsamer Faktoren in den Gliedsätzen
angewiesen ist, so muß das Erkennen irgend einer Verbindung dieser Sinnlichkeit
mit dem Verstände unmöglich sein. Diese Sinnlichkeit ist aber das sichere Gegen-
stück zu einer Gruppe von Erkenntnissen, die Kant selber nie zu beweisen unter-
nahm, weil sie der Logik entwachsen sind, zu den Erkenntnissen, deren Charakter
Notwendigkeit ist.

Es ist vielleicht richtig anzunehmen, daß diese letzte, reinste und sprachlose
Sinnlichkeit im Wesen Kants die Grundlage seiner transzendentalen Ästhetik mit
den schön geregelten Formen des Raums und der Zeit gewesen ist, daß sie auch
seinem „Schematismus" zu Grunde liegt. Denn sie hat wirklich mit den Verstandes-
begriffen nichts mehr gemein. In der rätselhaften Kraft des Menschen, spontan
von ihr aus Begriffe zu schaffen, steckt die eigentliche „verborgene Kunst in den
Tiefen der menschlichen Seele", die Kant besaß, sein Schematismus des Denkens.

Schildert er ihn in der logischen Wanderung vom Begriff zum Bild, finden wir
ihn ebensowohl auf dem logischen Weg vom erkannten Bild zum Begriff, so fangen
wir ihn nur in zwei Formen auf, hinter denen der eigentliche Schematismus des
Denkvermögens steht als Kraft der Verwandlung sinnlich-wortloser Rezeption in
begrifflich-sprachliche Form.

Darum ist der Kantische Schematismus aus seiner logischen unbedingt in die
metaphysische Form zu bringen als Spontaneität des Denkens, Verfahren der
menschlichen Tätigkeit im Aufsteigen aus dem Grund sinnlichen Besitzes in die
Erzeugung der Rege! des Verstandes, selbst wenn er — wie bei Kant — im formal
logischen Geschäfte der Subsumtion mit der nun metaphysisch sekundären Rich-
tung vom Begriff auf das Bild hin angetroffen wird.

Der metaphysisch-reversible Schematismus des Menschengeschlechts wirkt nach
zwei Seiten: er wirkt im Denker vom Bild bis an den Begriff, er ermöglicht aber
im bildenden Künstler die spontane Tätigkeit vom Denken bis an das Bild. Das
Gebilde, welches dieser Künstler erzeugt, ist ebenso sinnlich und aller Begriffe
bar, wie die Vorstellung Kants von dem rein sinnlichen ersten Grunde des Unter-
schiedes der Gegenden im Räume. Es bedeutet für uns ein Objekt, insofern es
die Rezeptivität zur Funktion bewegt, es ist aber niemals ein gedanklicher Gegen-
stand nach der schönen Kantischen Formulierung: „Objekt aber ist das, in dessen
Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist" (gemäß der
Bedingung der ursprünglichen Einheit der Apperzeption).

Daß die Werke der bildenden Kunst von dieser Art der Sinnlichkeit sind, ist
eine Gewißheit des Rezeptivität besitzenden Menschen. Ob ihre Entstehung wirk-
lich der Spontaneität zwischen Geist und Anschauung, Begriff und Bild, entstammt,
vermag nur der Bildende selber auszusagen. Für die Philosophie bleibt dieser Satz
hypothetisch. Er wiese aber den einzigen metaphysischen Weg vom Begriff zum
Bild, enthielte also die letzte größere Bedeutung von Kants logisch gerichtetem und
formulierten Schematismus.

Hätte Kant diesen metaphysischen Schematismus selber besessen, den seine
logische Formulierung bezeichnen könnte, so hätte er aus seinem Geiste Bildwerke
schaffen müssen. Statt ihrer erzeugte er aber Gedanken aus seiner sinnlichen Stärke.
Durch seine Erkenntnis der „verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen
Seele" sind nun die Kunst des Denkens und die des Bildens zugleich aufs schärfste
getrennt und aufs engste verbunden.
 
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