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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: 4.Kongress-Bericht — Beilagenheft.1931

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Cassirer, Ernst: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum
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https://doi.org/10.11588/diglit.49717#0031
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Ernst Cassirer:

Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum.
Wenn man die Stellung erwägt, die das Problem des Raumes und der
Zeit im Ganzen der theoretischen Erkenntnis einnimmt, und
wenn man auf die Rolle hinblickt, die dieses Problem in der geschicht-
lichen und systematischen Entwicklung der Grundfragen der Erkenntnis
gespielt hat — so tritt alsbald ein charakteristischer und entscheidender
Wesenszug heraus. Raum und Zeit nehmen schon, wenn man sie ledig-
lich als O b j e k t e der Erkenntnis faßt, eine besondere und ausgezeich-
nete Stellung ein: sie bilden innerhalb des architektonischen Baues der
Erkenntnis die beiden Grundpfeiler, die das Ganze tragen und das Ganze
Zusammenhalten. Aber ihre tiefere Bedeutung erschöpft sich nicht in
dieser ihrer objektiven Leistung. Die rein ontologische, die gegenständliche
Charakteristik dessen, was Raum und Zeit sind, dringt noch nicht in
den Kern dessen ein, was sie für den Aufbau der Erkenntnis bedeu-
ten. Die spezifische Bedeutung der Frage nach dem „Was“ des Raumes
und der Zeit scheint vielmehr darin zu liegen, daß mit und an dieser
Frage die Erkenntnis allmählich eine neue Richtung gewinnt. Hier
zuerst begreift sie, daß und warum die echte Außenwendung nur durch
eine ihr entsprechende Innenwendung zu vollziehen ist ■— hier lernt sie
einsehen, daß der Horizont der Gegenständlichkeit sich erst wahrhaft auf-
schließt, wenn der Blick des Geistes nicht lediglich nach vorwärts auf die
Welt der Objekte, sondern nach rückwärts, auf die eigene „Natur“ und
auf die eigene Funktion der Erkenntnis selbst, gerichtet wird. Je klarer,
je schärfer und bewußter innerhalb der Geschichte des Erkenntnis-
problems die Frage nach dem Wesen von Raum und Zeit gestellt wird
— um so deutlicher wird es auch, daß dieses Wesen nicht als ein rätsel-
haftes, letzten Endes unbekanntes Etwas vor der Erkenntnis schwebt,
sondern daß es in ihrem eigenen Sein in irgendeiner, wie immer zu be-
stimmenden Weise beschlossen und gegründet ist. So kehrt die Erkennt-
nis, je tiefer sie in die Struktur des Raumes und der Zeit eindringt, um-
so gewisser in sich selbst zurück — so erfaßt sie erst an ihnen, als dem
 
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