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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: 4.Kongress-Bericht — Beilagenheft.1931

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Fraenkel, Hermann: Die Zeitauffassung in der archaischen griechischen Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.49717#0127
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DIE ZEITAUFFASSUNG I. D. ARCHAISCHEN GRIECH. LIT. U7

schon vorhandenen, fertigen Gegenstand die Zeit wirksam werden. Daraus ergibt
sich ein vollständiger Umschlag des Zeitcharakters: „Wir pflegen zu sagen, daß die
Zeit verbraucht, daß alles altert infolge der Zeit, daß man vergißt wegen der Zeit;
aber nicht: daß man gelernt hat, daß etwas Neues, etwas Schönes entstanden ist.
Denn Zeit ist wesenhaft vorwiegend die Kraft der Zerstörung; denn sie ist Zahl
der Bewegung, und Bewegung ändert den Zustand am Vorhandenen“ (Aristoteles
Pysik J 221 a 30; dazu 222 b 19).
Zu S. 111. Für χρόνος in bezug auf die Lebensdauer sind oben S. 114 die
lyrischen Beispiele zusammengestellt; vgl. auch über δήν S. 112. Auf das Lebensalter
(die tjth?) bezogen Alk. 117 D (63 Lobei), 9, dazu Gött. Gel. Anz. 1928, 275: not
μεν γάρ ηδη παρβέβαται χρόνος. Bei Pindar ΟΙ. 4,25 (παρά τον άλίκίας έοίκότα
χρόνον) meint χρόνος nicht das Alter selbst, sondern die (geringe) Leistungsfähig-
keit, die man nach dem Alter erwarten müßte. Also ist auch hier der zeitliche Aus-
druck ins Sachliche umgebogen: der Mann hat nicht „das seinen Jahren entspre-
chende Alter“. Ferner 01. 10,102 s. o. S. 115. (Py. 11,36 o. S. 115). B a k c h. 7,45
ovv άλιτ/α χρόνφ παΐς έων άνήρ τε (von Jebb mißverstanden) „in beiden Alters-
klassen hält er den Rekord“. A i s c h. Προμ. 981 άλλ’έκδίδάοκει, πάντα ό γηράΰκων
χρόνος: hier ist sehr bemerkenswert, daß die Zeit in den Alternden hineinverlegt
ist: sie altert selbst. Ähnlich χρόνος δε παρήβησεν als die Flotte ausfuhr Αγ. 984:
„wir sind alt und sorgenvoll geworden durch diese Ausfahrt“. ΕεΘ 11 τον εξηβον
χρόνφ. — Wenn der Zeitbegriff auf die Lebensdauer oder auf die Altersstufe eines
bestimmten Menschen angewandt wird, ist er objektiviert und fixiert. So läßt es sich
verstehn, daß er in dieser Verwendung schon in der archaischen Epoche von der
Beschränkung auf das Zukünftige und Fortdauernde frei ist.
Aussprache:
Erwin Panofsky: Man kann die Vorgänge, welche Fränkel für die Zeit
von der Archaik bis zur Klassik charakterisiert hat, mit solchen der Geschichte
der Ethik vergleichen. Bruno Snell hat gezeigt, daß eine persönliche Willens-
entscheidung erst zu Beginn der klassischen Zeit denkmöglich wurde und damit
zusammen auch erst ihre dichterische Darstellung. Hiermit kann man nun wieder
vergleichen das Motiv „Herkules am Scheidewege“, das eine Erfindung des Pro-
dikus ist (5. Jahrhundert). Bei Hesiod ist die Tugend nur ein Wesen, das dem
Menschen irgendwo begegnet und auf ihn zukommt, bei Prodikus dagegen findet
sich das Bild des Scheideweges: rechts die Tugend, links das Laster, Herkules in
der Mitte; also ein Symbol der persönlichen Entscheidung. Und auch der Drei-
schritt der Zeit, die Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft, ist erst
eine Entdeckung der klassischen Zeit.
K. Lehmann-Hartleben: Als Ersatz für den von der Kongreßleitung
geplanten, aber leider ausgefallenen Vortrag über den Zeitbegriff in der griechi-
schen Kunst mögen einige Hinweise gegeben werden auf die zentrale Bedeutung,
welche das griechische Zeitgefühl auch für die gesamte künstlerische Einstellung
zur Zeit der frühgriechischen Entwicklung hat. Denn in der Tat läßt sich für das
Gebiet der bildenden Kunst eine ähnliche 3-Periodenteilung durchführen, wie für
die Dichtung diejenige vom Epischen über das Lyrische zum Dramatischen. Hier-
bei entspricht die qualitative Bedeutung des Raumes dem Bedeutungswandel, wel-
chen Fränkel für die Zeitvorstellung nachgewiesen hat. Als Beispiel mag zunächst
die Raumdarstellung eines Werkes der tektonischen griechischen Plastik gewählt
 
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