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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Besprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0196
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Besprechungen.

Fritz Kaufmann: Die Philosophie des Grafen Yorck von
Wartenburg. Niemeyer, Halle 1928. 235 S. (Sonderabdruck aus „Jahrbuch
für Philosophie und phänomenologische Forschung", Bd. IX, herausgeg. von
E. Husserl, Freiburg i. Br.)

Die Aufgabe, die Kaufmann mit diesem Buche sich gestellt hat, bot ihre eigenen
Schwierigkeiten. Aus verstreuten fragmentarischen Bemerkungen in dem Briefwech-
sel zwischen Yorck und Dilthey1) sollten die Konturen eines philosophierenden Men-
schen und die Grundlinien seiner Philosophie herausgeholt werden, ohne daß dieses
an und für sich knappe Material") in den Horizont hineingestellt werden konnte,
den es für Schreiber wie Empfänger dieser Briefe besaß: voraufgegangene persön-
liche Unterhaltungen und die ganze Atmosphäre einer 25jährigen menschlich-geisti-
gen Freundschaft. Von diesem Horizont her bekamen für Dilthey die Yorckschen
Bemerkungen und Andeutungen in seinen Briefen eine Fülle und Lebendigkeit, die
sie für den dem Verhältnis dieser beiden Männer wie der Lebensluft des Yorckschen
Hauses in Klein-Oels Fernstehenden niemals haben können. Das zwang K. zu man-
nigfaltigen Interpolationen, in denen nicht Y., sondern eben sein Interpret zu Worte
kommt, wenngleich K. ständig bestrebt ist, in seine Darlegungen die eigenen Worte
Y.s aufzunehmen. Dann drängt sich die Frage auf, ob Y. alle diese Interpolationen
und Interpretationen angenommen hätte, ob er nicht, wenn er selber zu Worte ge-
kommen wäre, manches anders gesagt hätte. Das bezieht sich nicht nur auf Nuancen;
es bezieht sich auf den Horizont, aus dem heraus, und auf das Ziel, auf das
hin Y. gesprochen hätte.

Im Zentrum der Philosophie Y.s sieht K. — sicherlich mit Recht — den Ge-
danken von der „Bodenständigkeit des Lebens". Philosophieren, Erkennen überhaupt
bedeutet nicht, daß ein dem Leben entzogenes, vom Leben sich abscheidendes, seinen
Bezogenheiten, Bedürfnissen und Bewegtheiten entrücktes Ich auf „Gegebenheiten"
hinsieht und sie mit dem kategorialen Apparat einer zeitlos-ungeschichtlichen,
lebensfernen, d. h. mit dem Leben in keinem Zusammenhang stehenden Vernunft zu
erfassen sucht. Vielmehr müssen alle geistigen Erscheinungen und Funktionen auf
das Leben bezogen, aus dem Leben, aus dem „psychischen Kapital strukturierter
Lebendigkeit" (Briefwechsel; hier abgekürzt Br. 223) begriffen und als Äußerungen
dieses Lebens verstanden werden.

i) Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von
Wartenburg 1877—1897. Herausgegeben von Gräfin Sigrid von der Schulenburg.
Halle 1923 — Philosophie und Geisteswissenschaften, Buchreihe, Bd. I.

a) Außer diesem Briefwechsel hat K. benutzt: Graf Paul Yorck von Warten-
burg, Italienisches Tagebuch. Herausgegeben von Sigrid v. d. Schulenburg. Darm-
stadt 1927, und die für die Prüfung zu den höheren Verwaltungsämtern abgefaßte
kleine Schrift Y.s Die Katharsis des Aristoteles und der Ödipus Coloneus des So-
phokles. Berlin 1866.
 
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