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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Novotny, Fritz: Das Problem des Menschen Cézanne im Verhältnis zu seiner Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0285
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DAS PROBLEM DES MENSCHEN CEZANNE.

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Persönlichkeit im allgemeinen und im besonderen Fall das komplizierte
Ineinandergreifen der beiden Erkenntnisformen übersehen. Der Ein-
schätzung des gesprochenen Wortes darf und muß, wenn dieses selbst,
in der überlieferten Form, aber auch schon unmittelbar, nicht Klarheit
zu geben vermag, die Einsicht in die künstlerische Ausdrucksform zu
Hilfe kommen.

Von jenen beiden Erklärungsprinzipien aus läßt sich der Kern des
Problems bestimmen und scheint sich so darzustellen: es entspricht jener
Wesenseigentümlichkeit der Kunst Cezannes, die den Betrachter dazu
verleitet, eine ihr adäquate Eigenschaft des Denkens anzunehmen, ein
Antrieb in Cezanne selbst, der im Nachhinein die künstlerische Ge-
staltung begrifflich zu rechtfertigen versucht. Dieser Antrieb aber ist
eben nur Nötigung zu der erwähnten Bewußtheit des Gedanklichen,
die von einer gleichen Klarheit wäre wie sie die malerische Gestaltung
Cezannes auszeichnet, in dieser Gestaltung ist jedoch nicht auch die
Möglichkeit dazu enthalten, sie ist sogar, nach dem ersten der
beiden Grundsätze, verwehrt. So ist ein Nebeneinanderbestehen beider
Gesetze anzunehmen, ihre Gegensätzlichkeit ist nicht eine des gegen-
seitigen Ausschließens, sondern sie bezeichnet ein gleichsam antago-
nistisches Zusammenwirken des Denkens und Gestaltens. Dieses be-
deutet als solches freilich noch nichts Spezifisches des Falles Cezanne,
es umfaßt ihn nur im Typischen. Näher führt an das Problem zunächst
die Tatsache, daß es an keiner Künstlerpersönlichkeit in ähnlicher Deut-
lichkeit und Intensität auftritt. Das Einmalige des Falles aber wird über
dieses quantitative Unterscheidungsmerkmal hinaus erst klar durch die
Umschreibung des Verhältnisses der beiden Kräfte. Über dieses kann
wie es scheint aus dem Anteil des „M enschlichen" und des
Gedankenhaften an seiner Kunst Aufschluß werden.

Was das Element des „Menschlichen" in der Gestaltung Cezannes
betrifft, so ist zu sagen, daß diese Kunst gerade durch sein Fehlen
charakterisiert ist. Man könnte von einer „außermenschlichen"
Anschauungs- und Gestaltungsart sprechen. Dieser Begriff des „Außer-
menschlichen" ist so zu verstehen. Voraussetzung für das „Außer-
menschliche" als Gestaltungsform in der alles umfassenden Bedeutung,
die es bei Cezanne hat, ist eine Versenkung in die Betrachtung der
Umwelt, die sich vom Menschen abgewendet hat, entscheidend aber ist
das Fehlen jeder intellektuellen und gefühlshaften Anteilnahme des
Menschen an dem Leben der dargestellten Dinge. Beides zusammen erst
ergibt das Besondere des Problems bei Cezanne. Seine Kunst steht ent-
wicklungsgeschichtlich an dem Ende der Epoche, die den Menschen aus
dem Stoffgebiet der bildenden Kunst in höherem Maße ausgeschlossen
hat als alle vorangehende Darstellung. Sie steht am Ende der letzten
 
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