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FRITZ NOVOTNY.
großen und ausschließlichsten Periode der Landschaftsmalerei, die ja
als selbständige Bildgattung in der abendländischen Kunst eine ver-
hältnismäßig kurze Vergangenheit hat. So wenig diese Tatsache allein
besagt, so darf sie doch hier nicht übersehen werden als Beweis dafür,
daß die Alleinherrschaft des Menschen in der Darstellung mit dem
sechzehnten Jahrhundert zu Ende war. Viel bedeutender aber und tiefer
reichend ist ein anderes entwicklungsgeschichtliches Faktum, das mit
jenem parallel geht. Es wurde in den letzten Jahrhunderten der euro-
päischen Malerei nicht nur das Stoffgebiet über die Sphäre des Mensch-
lichen quantitativ erweitert, sondern es richtete sich der Blick des Men-
schen auch innerhalb der neuen Gegenstandswelt, der Landschaft im
weitesten Sinne, auf neue Objekte, die als solche der vorangehenden
Kunst nicht in dieser Art bewußt oder belanglos waren: auf Luft und
Licht. Es war dies ein Weg gleichsam aus der Welt der Objekte
in eine Welt der Elemente. Die grundsätzliche Vergeistigung und
Abstraktion, die dieser Übergang darstellt, ist aber keine absolute, denn
er betrifft im Grunde doch nur einen Wechsel im Materialen. Nur soweit
bedeutet er eine Entfernung vom Menschen, eine Einschränkung der
anthropozentrischen Weltbetrachtung. Aber noch blieb die Möglichkeit,
eine im Stofflichen auch noch so sehr vom Menschen entfernte Objekt-
welt „menschlich" zu betrachten.
Die letzte Stufe des „Außermenschlichen" oder richtiger: das was
im eigentlichen Sinne diese Bezeichnung verdient, liegt in der — von
dem Stoff des Dargestellten unabhängigen — Betrachtungsform,
erst die Negation des „Menschlichen" im Su b j e k t bedeutete die Voll-
endung jenes Prozesses, der in der Entwicklung der europäischen
Malerei der Neuzeit eine, im Zusammenhang noch nicht untersuchte,
große Rolle spielt. Er ist am deutlichsten erkennbar in der Landschafts-
darstellung, in dieser sind der entwicklungsgeschichtliche Weg und die
seltenen Vorläufer am leichtesten aufzufinden. Bevor aber am Beispiel
der Landschaftsmalerei der Romantik und des Impressionismus das
Besondere der Betrachtungsform Cezannes abgeschätzt werden soll, sei
noch eine weitere Umschreibung und Abgrenzung des Begriffes des
„Außermenschlichen" in dem hier gemeinten Sinn versucht.
Man könnte glauben, daß mindestens ebensosehr wie an der Kunst
Cezannes ein „Außermenschliches" zum Beispiel an der Schöpfung
wirklichkeitsferner mittelalterlicher Kunst Anteil hatte, da auch in dieser
— wie in jeder von einer Ideologie religiöser Weitabgewandtheit be-
stimmten Kunst — für eine empfindende Anteilnahme des Menschen
nicht Platz sei. In direktem Verhältnis zu dem Maß der Naturferne in
den Gestaltungsmitteln — ein bis zum Ornament getriebener Linearis-
mus, eine willkürliche, koloristisch bestimmte Farbigkeit usw. — stehe
FRITZ NOVOTNY.
großen und ausschließlichsten Periode der Landschaftsmalerei, die ja
als selbständige Bildgattung in der abendländischen Kunst eine ver-
hältnismäßig kurze Vergangenheit hat. So wenig diese Tatsache allein
besagt, so darf sie doch hier nicht übersehen werden als Beweis dafür,
daß die Alleinherrschaft des Menschen in der Darstellung mit dem
sechzehnten Jahrhundert zu Ende war. Viel bedeutender aber und tiefer
reichend ist ein anderes entwicklungsgeschichtliches Faktum, das mit
jenem parallel geht. Es wurde in den letzten Jahrhunderten der euro-
päischen Malerei nicht nur das Stoffgebiet über die Sphäre des Mensch-
lichen quantitativ erweitert, sondern es richtete sich der Blick des Men-
schen auch innerhalb der neuen Gegenstandswelt, der Landschaft im
weitesten Sinne, auf neue Objekte, die als solche der vorangehenden
Kunst nicht in dieser Art bewußt oder belanglos waren: auf Luft und
Licht. Es war dies ein Weg gleichsam aus der Welt der Objekte
in eine Welt der Elemente. Die grundsätzliche Vergeistigung und
Abstraktion, die dieser Übergang darstellt, ist aber keine absolute, denn
er betrifft im Grunde doch nur einen Wechsel im Materialen. Nur soweit
bedeutet er eine Entfernung vom Menschen, eine Einschränkung der
anthropozentrischen Weltbetrachtung. Aber noch blieb die Möglichkeit,
eine im Stofflichen auch noch so sehr vom Menschen entfernte Objekt-
welt „menschlich" zu betrachten.
Die letzte Stufe des „Außermenschlichen" oder richtiger: das was
im eigentlichen Sinne diese Bezeichnung verdient, liegt in der — von
dem Stoff des Dargestellten unabhängigen — Betrachtungsform,
erst die Negation des „Menschlichen" im Su b j e k t bedeutete die Voll-
endung jenes Prozesses, der in der Entwicklung der europäischen
Malerei der Neuzeit eine, im Zusammenhang noch nicht untersuchte,
große Rolle spielt. Er ist am deutlichsten erkennbar in der Landschafts-
darstellung, in dieser sind der entwicklungsgeschichtliche Weg und die
seltenen Vorläufer am leichtesten aufzufinden. Bevor aber am Beispiel
der Landschaftsmalerei der Romantik und des Impressionismus das
Besondere der Betrachtungsform Cezannes abgeschätzt werden soll, sei
noch eine weitere Umschreibung und Abgrenzung des Begriffes des
„Außermenschlichen" in dem hier gemeinten Sinn versucht.
Man könnte glauben, daß mindestens ebensosehr wie an der Kunst
Cezannes ein „Außermenschliches" zum Beispiel an der Schöpfung
wirklichkeitsferner mittelalterlicher Kunst Anteil hatte, da auch in dieser
— wie in jeder von einer Ideologie religiöser Weitabgewandtheit be-
stimmten Kunst — für eine empfindende Anteilnahme des Menschen
nicht Platz sei. In direktem Verhältnis zu dem Maß der Naturferne in
den Gestaltungsmitteln — ein bis zum Ornament getriebener Linearis-
mus, eine willkürliche, koloristisch bestimmte Farbigkeit usw. — stehe