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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Ritoók, Emma von: Die Wertsphäre des Tragischen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0249
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DIE WERTSPHÄRE DES TRAGISCHEN

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nung treten11). Das Leben, wie die ganze Wirklichkeit, harrt auf Formung,
um einen Sinn zu haben, und diese formende Macht ist in unserem Falle
die Kunst oder die Philosophie. Das Tragische ist eine dieser formenden
Kategorien, durch die wir einen Teil des irrationalen Lebensflusses in
der Kunst bannen oder dem Ganzen einen Sinn geben in der Metaphysik.

Es gibt noch eine wichtige Einsicht, welche uns verbietet, vom Tragi-
schen in der Wirklichkeit oder im Leben als von einem unmittelbar
Erlebten zu sprechen. Da unsere Einstellung oder Intentionalität sich
mit einem Formmoment, hier dem des Tragischen, auf die formlose Wirk-
lichkeit richtet, wird aus dem ersten Material schon etwas kategorial Be-
troffenes, das dann durch die erkenntnismäßige ästhetisch-theoretische
Stufe eine zweite kategoriale Umhüllung erhält und das Erlebte aus aller
Unmittelbarkeit entrückt. Nehmen wir mit Husserl eine Stufenfolge von
Gegenständlichkeiten unterer und höherer Stufen an, so werden wir in
diesem Falle eine größere Komplexität — der Erwartung entgegengesetzt
— in der Wirklichkeit finden; diese Komplexität fehlt in der Kunst, weil
hier der Gegenstand fertig, als kategorial umhüllte Materie zum Erleben
unmittelbar gegeben ist, und das Theoretische ihn auf erster Stufe treffen
kann. Geht die Analyse unter diese Grenze der Kunstform bis zur Seins-
schicht der Wirklichkeit, so verläßt sie das Gebiet der Kunst und des
Ästhetischen. Was in der Wirklichkeit als Materie schon eine Stufe der
kategorialen Umhüllung wäre, also etwas Mittelbares bedeutete, ist in der
Kunst reine Materie, der unmittelbar erlebte Gegenstand, da das Wesen
der Kunst eben in diesem kategorial Geformten besteht, das einer neuen
kategorialen Umhüllung nur dann unterliegt, wenn im ästhetisch-theore-
tischen Sinn das logische Formmoment über den ästhetischen Inhalts-
moment sich aufbaut12). Dementsprechend ist die Tragik in der Kunst wohl
schon Geformtes, aber ihr Wesen ist eben Form im Verhältnis zur form-
fremden empirischen Wirklichkeit oder zum Leben. So ist das Tragische
in der Kunst unmittelbar in der Anschauung dem Erleben gegeben und
zur Theoretisierung aufgegeben; im Leben und in der Wirklichkeit da-
gegen müßte das Tragische erst noch konstruiert, durch eine Reflexion

"■) Zur Terminologie bemerke ich: Tragik wird das Geformte genannt, in
welchem sich die Kategorie des Tragischen verwirklicht. Das Tragische ist also
die kategoriale Form, die Funktion, — Tragik eine synthetische Einheit, geschaffen
durch diese Funktion. Tragödie ist das volle Kunstwerk, dessen Wesen Tragik ist,
das aber auch noch durch viele andere, äußere und innere künstlerisch-literarische
Formbedingungen bestimmt wird; alle Elemente stehen natürlich mit der Tragik,
d. i. mit der wesensbedingenden, formenden Kategorie des Tragischen in kunst-
gemäßem Zusammenhang.

12) E. Lask, Die Logik der Philosophie. 1911. S. 104. — S. auch Fr. Böhm,
Die Logik der Ästhetik. 1930. S. 89.
 
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