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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 35.1941

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Böhm, Wilhelm: Gestalt und Glaube in der Hölderlinliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.14214#0050
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3G

WILHELM BÖHM

die Tatsache, daß der lebendige Gott sich offenbart und der Mensch den
„Befehl" von ihm erhält. Die Autonomie der Persönlichkeit, aus der
Götter individualisiert angeeignet werden können, bedeutet ihm einen
Abfall von Gott, ein „hartes Wort für den von der Herrlichkeit der Götter
Erfüllten", das dem Ernst der Hölderlinschen Frömmigkeit gleichwohl
angemessener ist, als manche Auslegung, über der die von Guardini
gewiß turmhoch steht. Der Bereich der Hölderlinschen Frömmigkeit ist
für ihn eine allgemein-religiöse, vorchristliche Erfahrung, wenn schon
tiefer als ein primitives Mana oder Orenda. Aber dem Allnaturerlebnis
Hölderlins fehlt der Ort der religiösen Entscheidung, des unerbittlichen
Entweder-Oder, das den Menschen, wenn er Gott wirklich ernst nimmt,
vor der göttlichen Majestät erst einmal zunichte werden läßt, und das Vor-
bedingung dafür ist, daß die Individualisierungen der Welt ihm aufbauend
wiedergegeben werden. — Im fünften Kreise werden schließlich die Christus-
motive in Hölderlins Dichtung entsprechend kritisch geprüft und eine Fülle
von weiteren Gegensätzlichkeiten zum Christentum festgelegt, auch hier
mit dem Abschluß eines non liquet im Hinblick auf Hölderlins Zukunft.

Guardini tritt in seinen Ausführungen über den lebendigen Gott der
protestantischen dialektischen Theologie erstaunlich nahe. Es ist hier
nicht der Ort, Wandlungen der katholischen Theologie zu untersuchen.
Aber geistesgeschichtlich stellt sich seine Fragestellung an Hölderlin in
eine Front nicht so sehr mit dem Problem „Idealismus und Christentum",
als mit dem „Weimarer Klassik und Christentum", oder, um mit Hilde-
brandt zu reden, „Deutsche Bewegung und Christentum". Hölderlin habe
ich als Hochklassiker bezeichnet, und die Weimarer Klassik war frömmer,
als aus einigen überspitzten Äußerungen Schillers über die Autonomie der
Kunst geschlossen werden darf. — Sind diese Geister alle wirklich nur
theoretisch Schauende gewesen und haben sie nichts vom Ernste der dem
Willen aufgegebenen und mithin ihm gemäßen „Entscheidung" gewußt?
— Die Antwort der Klassik, insbesondere der mythischen Hochklassik
Hölderlins auf die existenzielle Frage nach der Entscheidung vor dem
lebendigen Gott würde m. E. diese sein: Es gibt nicht nur eine Entschei-
dung aus dem Entweder-Oder, sondern eine ebenso schwere aus dem
Sowohl-Als auch. — Guardini's Untersuchungen der Christushymnen
gehen aus von Christus als Heilandsgott neben Herakles und Dionysos.
Wenn in „Der Einzige" deutlich wird, daß es Hölderlin schwer fiel,
Christus den „weltlichen Männern" zu vergleichen, so ist hier das, was
Guardini die Unerbittlichkeit des Entweder-Oder aus dem Christlichen
nennt, nicht eindeutig; sie kann ebensogut aus der Schwierigkeit des
Bekenntnisses zum Sowohl-Als auch vor einem überkommenen über-
mächtigen Radikalismus erkannt werden. — Der Notwendigkeit, dem
Entweder-Oder den Primat zu erteilen als der einzigen geoffenbarten
 
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