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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schroers, Heinrich: Die kirchlichen Baustile im Lichte der allgemeinen Kulturentwickelung, [6]
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1896. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 8.

242

Ruhe noch die innere Abklärung, um in grofsen
Werken der Kunst ihr Bild scharf und von dem
ewigen Lichte der Schönheit durchstrahlt aus-
zuprägen. Die Malerei, die wegen ihrer vor-
wiegend subjektiven und leicht beweglichen
Art oft das naschende Kind unter den Musen
ist, hat bei all ihren Versuchen, „modern" zu
sein, doch nur vermocht, vereinzelte und vor-
übergehende Bestandteile des heutigen Kultur-
ringens künstlerisch wiederzugeben, angefangen
vom Klassizismus und der Romantik bis zu
dem Impressionismus und dem mystisch-pan-
theistischen Weltschmerz der Jüngsten. Der
Baukunst hingegen, die ihrem Wesen nach nur
aus dem Vollen schöpfen kann, und deren ob-
jektive Gröfse nur auf dem gesicherten Grunde
einer allgemeingültig gewordenen Civilisation
sich erheben kann, blieb nichts anderes übrig,
als sich zu den historischen Stilen der Ver-
gangenheit zurückzuwenden. Allerdings em-
pfand man recht wohl, dafs damit etwas Künst-
liches und mehr oder minder Fremdartiges in
die Gegenwart hineingetragen wurde. Denn
wenn auch das Heute in allen Schichten der
Vergangenheit wurzelt, so kann doch das ein-
mal im Meere der Zeit Versunkene nicht wieder-
kehren, und darum ein geschichtlich gewesener
Stil niemals der vollen Eigenart der Später-
geborenen entsprechen. So konnte nur ein
Schwanken und unsicheres Umhertasten der
neuern Architektur die Folge sein, zumal da
die Archäologie mit allen Stilarten vertraut ge-
macht hatte und zur Nachahmung lockte. Mit
dem Schwärmen für die klassische Einfachheit
der griechischen Antike begann man. Dann
folgte die romantische Begeisterung für das
Mittelalter, und es wurde romanisch oder gothisch
gebaut. Andere fanden in der Renaissance, sei
es in der italienischen oder in der französischen,
sei es in dem, was man deutsche Renaissance
zu nennen beliebte, den zeitgemäfsen Stil unserer
Tage. In der Kleinkunst und im Kunsthand-
werk, soweit sie von architektonischen Motiven
beherrscht werden, ist man sogar glücklich bis
zum Rokoko und Empirestil gediehen. Das
Neueste scheinen Bauten zu sein, die die aus-
gearteste Gothik mit den schüchternen Formen
der Frührenaissance zu einem bizarren Ganzen
vermischen. Ob nunmehr der Reigen wieder
von vorne beginnt? Die heutige Mode, im
Vollbewufstsein unserer geschichtlichen Gelehr-
samkeit, liebt die Veranstaltung historischer

Festzüge. Wer durch die Prunkstrafsen mo-
derner Grofsstädte wandert, vermeint auch einen
solchen historischen Zug der Architektur zu
sehen, nur dafs die handwerksmäfsige Mache
keine festliche Stimmung aufkommen läfst.

Von dieser Sucht scheint auch die kirchliche
Baukunst angekränkelt. In buntem Wechsel,
der nur zu deutlich die künstlerische Rat-
losigkeit verräth, hat das XIX. Jahrh. sich in
Renaissance-Kirchen, Basiliken, Rotunden, ro-
manischen und gothischen Bauten versucht, und
gerade jetzt schickt sich das sonst auf sein
nationales Erbe so stolze England an, die Kathe-
drale von Westminster, das Symbol der wieder-
erstandenen katholischen Kirche des Inselreiches,
in unbegreiflicher Verkennung der idealen Be-
deutung, in byzantinischem Stile zu errichten.
Bei gelehrten Leuten liegt dieser Erscheinung
das Bestreben zu Grunde, unsere Städte mit Bei-
spielen aller historischer Stilarten zu schmücken,
sie zu einer Art architektonischer Museen zu
machen — eine üble Frucht des unser Zeitalter
auszeichnenden geschichtlichen Sinnes. Bei der
Menge ist es das pfahlbürgerliche Verlangen
nach dem Neuen und Abwechselnden. Im
Ganzen aber bietet sich ein Bild künstlerischer
Zerfahrenheit dar, wie die Geschichte kein
zweites kennt. In manchen Kreisen scheint
das Gefühl ganz verloren gegangen zu sein,
dafs Baustile nichts willkürlich Erfundenes und
keine Gegenstände für bauherrliche Launen
sind, sondern aus dem Schoofse der Zeiten mit
ähnlicher Notwendigkeit hervorgewachsen sind
wie aus dem Samenkorn die seiner Art ent-
sprechende Pflanze.

Allerdings, für eine selbstständige, vom le-
bendigen Geiste der Gegenwart durchdrungene
Architektur ist auch die kirchliche Ent-
wickelung noch nicht reif. Sie ist an einem
bedeutungsvollen, eine grofse Zukunft erst ver-
heifsenden Wendepunkte ihrer weltgeschicht-
lichen Bahn angelangt. Nicht blofs deshalb,
weil sie überhaupt mit der in voller Um-
gestaltung befindlichen weltlichen Kultur in
fortwährender Wechselbeziehung ist und nament-
lich durch die soziale Krisis sich vor neue,
gewaltige Aufgaben gestellt sieht, sondern auch
hinsichtlich ihrer inneren Verhältnisse, mag
uns, die wir mitten im Flusse der Dinge stehen,
dies auch weniger deutlich zum Bewufstsein
kommen. Man müfste das ganze mannigfaltige
Bild des kirchlichen Lebens aufrollen, um im




 
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