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Zeitschrift für christliche Kunst — 9.1896

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Schroers, Heinrich: Die kirchlichen Baustile im Lichte der allgemeinen Kulturentwickelung, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3831#0148

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243

1896.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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Einzelnen zu zeigen, wie überall frische Kräfte,
oder vielmehr die ewig alte und unerschöpf-
liche Triebkraft des Göttlichen in der Kirche
sich regt und die historisch gewordene Hülle
zersprengt, unter der bereits neue Bildungen
sich zeigen. Es sei nur an die geschichtliche
Erfahrung erinnert, dafs die grofen Konzilien
noch jedesmal eine neue Epoche der Kirchen-
geschichte eingeleitet haben, und es sei dem-
gegenüber auf die heutige Parallele des Vati-
kanums hingewiesen, dessen tief einschneidende
Wirkung immermehr in die Erscheinung tritt,
ja das selbst in seinem eigentlichen Verlaufe
bekanntlich noch nicht abgeschlossen ist. Auch
die kirchliche Wissenschaft hat ihre aufsteigende
Bewegung erst begonnen und wird, so wenig
das die kleinen Geister des Tages auch be-
greifen wollen, sich erst mit den unläugbaren
Errungenschaften der neuen Forschungsmethoden
vertraut machen müssen, ehe sie die unveränder-
lichen Wahrheiten des Christenthums mit jenem
Lichte menschlicher Erkenntnifs übergiefsen
kann, das auch in das Auge der modernen
Menschen zu dringen vermag.

Die Kunst wird den letzten Akt in dem
Drama der kirchlichen Erneuerung und der
Auseinandersetzung mit der heutigen Welt und
ihrer Kultur bilden. Denn allein unter ge-
klärten Verhältnissen und nur aus einem ge-
sättigten Boden kann sich eine originale Archi-
tektur entwickeln. Unterdefs macht aber die
Gegenwart ihr Recht geltend und fordert aus
ihren praktischen Bedürfnissen heraus kirchliche
Bauten in grofser Anzahl. So drängt sich denn
mit gebieterischer Strenge die Frage auf, was
ist der verhältnifsmäfsig angemessene Stil?
Die Antwort kann von verschiedenen Gesichts-
punkten aus gegeben werden. Für uns kommt
hier nur der entwickelungsgeschichtliche und
den Zusammenhang mit der allgemeinen Kultur
berücksichtigende in Betracht. Zwei Dinge sind
dabei im Auge zu behalten: einmal der ideale
Inhalt der einzelnen Stile und seine mehr oder
minder nahe Berührung mit dem Geiste der
Gegenwart, sodann die Fähigkeit, Ausgangspunkt
einer Fortentwickelung zu sein.

Am fernsten liegt uns ohne Zweifel der
Centralbau. Er ist zu tief von orientalischen
Motiven durchdrungen, und zu beherrschend
schwebt über ihm der Genius der griechischen
Kirche. Seine Anordnungen und Formen sind
zudem in ein ziemlich enges Schema gebannt

und lassen keine grofs ausgreifende Weiter-
entfaltung seiner architektonischen Gedanken
zu. Noch mehr trifft dieses alles den spätem
byzantinischen Stil. Die Basilika hat sich zwar
in hohem Grade als fähig zur Weiterbildung
bewiesen, haben sich doch alle späteren Wand-
lungen des abendländischen Kirchenbaues in
Grund- und Aufrifs auf ihren Spuren bewegt.
Allein die streng einheitliche Idee, welche sie
mächtig durchströmt, ist doch durch und durch
antik, antikchristlich. Nichts macht sich aber
im heutigen Geistesleben so entschieden be-
merkbar als die Abwendung von der Antike.
Unsere auf Betonung des Nationalen gehende
Entwickelung widerspricht dem Universalismus
des römischen Wesens, und unsere von den
Wassern der empirischen Wissenschaften durch-
tränkte Bildung entwindet sich mehr und mehr
den Idealen der Humanität, wie die Alten sie
ausgebildet haben.

Noch immer wird es, so dürfen wir hoffen,
auserlesene Geister geben, die den nie ver-
löschenden Reiz klassischer Schönheit hüten
werden als heiliges Feuer auf dem häuslichen
Herde, aber auf die Menge wird sie in der
kommenden Kulturepoche keinen Einflufs üben.
Aus diesem Grunde kann auch die Baukunst
der Renaissance weder die ästhetischen Nei-
gungen des modernen Menschen fesseln noch
die Vorbereitung für die Zukunft abgeben.

Innerhalb der Kirche tritt, von der Romantik
mit angeregt, aber unvergleichlich tiefer gründend
als diese selbst, eine kraftvolle Rückbewegung
zum Mittelalter hervor, nicht um seine Ideen
und Einrichtungen, die nur für jene Zeit von
Bedeutung waren, künstlich wieder zu beleben,
sondern um, konservativ im besten Sinne, den
gewachsenen Boden der echten kirchlichen
Ueberlieferungen wiederzugewinnen, auf dem
sich der grofse und hehre Bau der Zukunft er-
heben kann. In vollem Einklänge mit diesen
Bestrebungen steht das Zurückgreifen auf die
mittelalterliche Kirchenbaukunst, das trotz einiger
Schwankungen doch in der heutigen kirchlichen
Bauthätigkeit vorwiegt.

Manche wenden sich dabei der romanischen
Kunst zu, ja augenblicklich scheint eine gewisse
Vorliebe für diesen Stil zu herrschen. Ist das
verständig und zweckmäfsig? Die romanische
Architektur hat in wesentlichen Dingen tief-
gehende Wandlungen durchgemacht, und daher
fehlt ihr das feste, einheitliche Prinzip, an das
 
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