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1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.
12
Als Prolepse ist es aufzufassen, wenn wir zu-
gleich das lebende Kind schon von zweien
der Trabanten ergriffen sehen, deren einer
über dem Haupt des Knaben sein Schwert
erhebt — das Kurzschwert römischer Le-
gionare.
Besser als das Jesuskindlein auf dem Schoofs
der Maria, das verdrückt zu sein scheint, eignet
sich der Knabe hier zur Beurtheilung der Kunst,
Kinder darzustellen. Die Antike hat erst ver-
hältnifsmäfsig spät gelernt, richtige Bilder der
kleinen Wesen zu schaffen, und früh ging diese
Errungenschaft wieder verloren. Wir sehen in
unserem Relief, dafs der Silberarbeiter noch ziem-
lich richtiges Verständnifs besafs für die dicken
wulstigen Formen des kindlichen Körpers mit
den kleinen Extremitäten und grofsem Kopf.
Eine Vergleichung des Urtheils Salomos mit
anderen altchristlichen Darstellungen desselben
Gegenstandes ist nicht möglich, da in dem
bisher bekannten Typenvorrath diese Darstel-
lung fehlte.
Sehr zahlreich sind die altchristlichen Re-
pliken der Szene, welche für die gegenüber-
liegende Kastenseite gewählt ist, die drei Männer
im Feuerofen. Charakteristisch für das Relief
ist es, dafs weder der Ofen noch Flammen
angegeben sind. Als Analogie mögen uns
antike Skulpturen dienen, die Tritonen und
Meerkentauren vorführen, ohne das Wasser
plastisch darzustellen, weil das Bild der Meer-
wesen an sich zeigt, dafs sie schwimmend zu
denken sind. Der Silberarbeiter, der noch
vom Geist der antiken Kunst erfüllt war, liefs
die Flammen fort, weil er darauf rechnen
durfte, dafs dem Beschauer durch die Zahl,
Haltung, Gewandung seiner Figuren die Szene
völlig klar würde. Drei der Personen haben
die orientalische Tracht, die sogen, phrygische
Mütze, Schuhe, Hosen, eine Aermeltunica, die
bei Zweien in Zipfel endigt. Nach der An-
gabe eines antiken Schriftstellers14) diente ein
einzelner Purpurstreifen in der Mitte diesen
Gewändern als Schmuck, er ist in dem Relief
nicht vergessen worden. Fast alle Monumente
geben den drei Männern im Feuerofen die-
selbe Tracht, und gewöhnlich die Stellung der
Oranten. Diese ist auch in unserem Relief
zu erkennen, nur hat der Künstler, um die
l4) Herodian Hist. V 5. 10 in der Beschreibung
eines Opfers des Elagabal, wobei römische Vornehme
in dem Kostüm phoenikischer Priester assistirten.
Figuren enger aneinander rücken zu können,
die nach oben geöffneten Hände nicht seit-
wärts ausgestreckt, sondern vor die Brust ge-
legt. Zwischen die Opfer Nebucad-Nezars
tritt ein barhäuptiger Jüngling in Tunica und
kurzer Chlamys, unter der die einen Stab hal-
tende linke Hand verborgen ist. Die Tunica
ist besondees reich verziert, sie hat sowohl
ein kreisrundes „Segment" auf der Achsel, als
auch ein von der Schulter zur Brust herab-
reiehendes „Lorum".15)
In der Erzählung des Daniel heifst es
(III, 24): „Da entzetzte sich der König
Nebucad-Nezar, und fuhr eilends auf, und
sprach zu seinen Räthen: Haben wir nicht drei
Männer gebunden in das Feuer lassen werfen ?
Sie antworteten und sprachen zum Könige:
Ja, Herr König. Er antwortete und sprach:
Sehe ich doch vier Männer los im Feuer gehen,
und sind unversehrt; und der vierte ist gleich,
als wäre er ein Sohn Gottes." Der Künstler
suchte den Worten der Schrift gerecht zu
werden, die ideale Jünglingsfigur mit dem
lockigen Kopf soll würdig sein, einem Gottes-
sohn verglichen zu werden. Andrerseits hatte
der Künstler offenbar die Auffassung, welche
frühzeitig bei den Christen aufgekommen ist,
dafs jene Erscheinung im Ofen ein Engel ge-
wesen sei. Als aber der Silberkasten entstand,
war noch kein fester Engeltypus ausgeprägt,
vielleicht war die Beflügelung der Engel in der
bildenden Kunst damals noch etwas ganz
Unbekanntes. Wo indefs in altchristlichen
Bildwerken unbeflügelte Engel auftreten, pflegen
sie gleich anderen heiligen Personen in Tunica
und Pallium gekleidet zu sein. Der Silber-
arbeiter hat sich eng an den Begriff des Wortes
äyyslog gehalten, dem „Boten" ein für seinen
Beruf geeignetes Kostüm gegeben und ihn mit
dem Wanderstab ausgerüstet. Die Figur hält
nämlich einen einfachen Stecken in der Pland,
nicht das Szepter, das geflügelte Engel in
späteren Zeiten führen. Ein Wanderstab war
geradezu das Attribut der öffentlichen Boten,
welche die Aufträge der Beamten auszurichten
hatten, und sie wurden von den Griechen da-
her gußöovXoi, Stabträger, genannt. Als eine
aus dem Leben gegriffene Gestalt erscheint uns
in dem Relief der himmlische Bote.
lr>) Ueber diesen Gewandschmuck vgl. Wilpert
»Die Gewandung der Christen in den ersten Jahr-
hunderten«' p. 26.
1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.
12
Als Prolepse ist es aufzufassen, wenn wir zu-
gleich das lebende Kind schon von zweien
der Trabanten ergriffen sehen, deren einer
über dem Haupt des Knaben sein Schwert
erhebt — das Kurzschwert römischer Le-
gionare.
Besser als das Jesuskindlein auf dem Schoofs
der Maria, das verdrückt zu sein scheint, eignet
sich der Knabe hier zur Beurtheilung der Kunst,
Kinder darzustellen. Die Antike hat erst ver-
hältnifsmäfsig spät gelernt, richtige Bilder der
kleinen Wesen zu schaffen, und früh ging diese
Errungenschaft wieder verloren. Wir sehen in
unserem Relief, dafs der Silberarbeiter noch ziem-
lich richtiges Verständnifs besafs für die dicken
wulstigen Formen des kindlichen Körpers mit
den kleinen Extremitäten und grofsem Kopf.
Eine Vergleichung des Urtheils Salomos mit
anderen altchristlichen Darstellungen desselben
Gegenstandes ist nicht möglich, da in dem
bisher bekannten Typenvorrath diese Darstel-
lung fehlte.
Sehr zahlreich sind die altchristlichen Re-
pliken der Szene, welche für die gegenüber-
liegende Kastenseite gewählt ist, die drei Männer
im Feuerofen. Charakteristisch für das Relief
ist es, dafs weder der Ofen noch Flammen
angegeben sind. Als Analogie mögen uns
antike Skulpturen dienen, die Tritonen und
Meerkentauren vorführen, ohne das Wasser
plastisch darzustellen, weil das Bild der Meer-
wesen an sich zeigt, dafs sie schwimmend zu
denken sind. Der Silberarbeiter, der noch
vom Geist der antiken Kunst erfüllt war, liefs
die Flammen fort, weil er darauf rechnen
durfte, dafs dem Beschauer durch die Zahl,
Haltung, Gewandung seiner Figuren die Szene
völlig klar würde. Drei der Personen haben
die orientalische Tracht, die sogen, phrygische
Mütze, Schuhe, Hosen, eine Aermeltunica, die
bei Zweien in Zipfel endigt. Nach der An-
gabe eines antiken Schriftstellers14) diente ein
einzelner Purpurstreifen in der Mitte diesen
Gewändern als Schmuck, er ist in dem Relief
nicht vergessen worden. Fast alle Monumente
geben den drei Männern im Feuerofen die-
selbe Tracht, und gewöhnlich die Stellung der
Oranten. Diese ist auch in unserem Relief
zu erkennen, nur hat der Künstler, um die
l4) Herodian Hist. V 5. 10 in der Beschreibung
eines Opfers des Elagabal, wobei römische Vornehme
in dem Kostüm phoenikischer Priester assistirten.
Figuren enger aneinander rücken zu können,
die nach oben geöffneten Hände nicht seit-
wärts ausgestreckt, sondern vor die Brust ge-
legt. Zwischen die Opfer Nebucad-Nezars
tritt ein barhäuptiger Jüngling in Tunica und
kurzer Chlamys, unter der die einen Stab hal-
tende linke Hand verborgen ist. Die Tunica
ist besondees reich verziert, sie hat sowohl
ein kreisrundes „Segment" auf der Achsel, als
auch ein von der Schulter zur Brust herab-
reiehendes „Lorum".15)
In der Erzählung des Daniel heifst es
(III, 24): „Da entzetzte sich der König
Nebucad-Nezar, und fuhr eilends auf, und
sprach zu seinen Räthen: Haben wir nicht drei
Männer gebunden in das Feuer lassen werfen ?
Sie antworteten und sprachen zum Könige:
Ja, Herr König. Er antwortete und sprach:
Sehe ich doch vier Männer los im Feuer gehen,
und sind unversehrt; und der vierte ist gleich,
als wäre er ein Sohn Gottes." Der Künstler
suchte den Worten der Schrift gerecht zu
werden, die ideale Jünglingsfigur mit dem
lockigen Kopf soll würdig sein, einem Gottes-
sohn verglichen zu werden. Andrerseits hatte
der Künstler offenbar die Auffassung, welche
frühzeitig bei den Christen aufgekommen ist,
dafs jene Erscheinung im Ofen ein Engel ge-
wesen sei. Als aber der Silberkasten entstand,
war noch kein fester Engeltypus ausgeprägt,
vielleicht war die Beflügelung der Engel in der
bildenden Kunst damals noch etwas ganz
Unbekanntes. Wo indefs in altchristlichen
Bildwerken unbeflügelte Engel auftreten, pflegen
sie gleich anderen heiligen Personen in Tunica
und Pallium gekleidet zu sein. Der Silber-
arbeiter hat sich eng an den Begriff des Wortes
äyyslog gehalten, dem „Boten" ein für seinen
Beruf geeignetes Kostüm gegeben und ihn mit
dem Wanderstab ausgerüstet. Die Figur hält
nämlich einen einfachen Stecken in der Pland,
nicht das Szepter, das geflügelte Engel in
späteren Zeiten führen. Ein Wanderstab war
geradezu das Attribut der öffentlichen Boten,
welche die Aufträge der Beamten auszurichten
hatten, und sie wurden von den Griechen da-
her gußöovXoi, Stabträger, genannt. Als eine
aus dem Leben gegriffene Gestalt erscheint uns
in dem Relief der himmlische Bote.
lr>) Ueber diesen Gewandschmuck vgl. Wilpert
»Die Gewandung der Christen in den ersten Jahr-
hunderten«' p. 26.