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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Graeven, Hans: Ein altchristlicher Silberkasten
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0019

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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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Die Vorderseite des Kastens bietet das ein-
zige Bildwerk, über dessen Deutung Zweifel
herrschen können. Wir sehen hier auf einem
Thron, der dem der Maria gleicht, einen Jüng-
ling, der die phrygische Mütze trägt, im
Uebrige'n aber wie Salomo gekleidet' ist. Seine
Linke stützt ähnlich dem Christus auf das Knie
ein Buch, das hier mit einer Handhabe ver-
sehen ist, ein „codex ansatus". Diesen Namen
kennen wir aus einem Decret des L. Helvius
Agrippa,16) der 68 n. Ch. Prokonsul Sardiniens
war, Abbildungen derartiger Bücher begegnen
uns auf den Schranken der römischen Rostra17)
und in der Notitia dignitatum18) unter den Em-
blemen der magistri scriniorum. Auf dem
Relief bezeichnet der codex ansatus die Richter-
würde des Jünglings. Vor sein Tribunal wird
von jeder Seite ein Gefangener geführt, rechts
ein älterer Mann, dessen Bart dieselbe Form
hat wie die fälschlich Julian getauften Büsten,19)
links ein Jüngling, beide nur mit der Tunica
bekleidet. Ihre Führer und die Zuschauer
des Hintergrundes tragen orientalisches Kostüm.
Ich hatte daher zunächst vermuthet, dafs hier
zwei Märtyrer dargestellt seien, die im Orient
zum Tode verurtheilt wurden. Solche An-
nahme lag um so näher, als die Szene den
bevorzugten Platz an der Vorderseite hat, doch
dieser ward ihr offenbar nur deshalb zu Theil,
weil sich ihre Mittelfigur am besten unter das
Schlofs fügte. Deshalb ist es wahrscheinlich,
dafs auch hier ein alttestamentlicher Gegen-
stand vorliegt; das kann kein anderer sein
als der Richterspruch Daniels.

Auf einer Reihe altchristlicher Denkmäler,
die in Rom oder in anderen Theilen des la-
teinischen Westens entstanden sind, finden
sich Szenen aus dem Leben der Susanna, so-
wohl ihre Ueberraschung im Garten, ihre Ver-
urteilung, ihr Gebet als auch die endliche
Verurtheilung der beiden Aeltesten. Diese
sind bald bärtig, bald unbärtig gebildet, so
dafs die jugendliche Bildung des Einen in
unserem Relief nichts besonders Auffallendes
hat. Ihre Tracht pflegt Tunica und Pallium
zu sein, und ebenso ist Daniel gekleidet, wenn

16) Herausgegeben von Mommsen »Hermes«
II, p. 102.

17) Abgeb. »Monumenti dell' Istituto« IX, Taf. 47.

18) ed. See.ck, p. 161.

19) S. Bernoulli »Rom. Ikonographie«, III 2,
P- 247.

er als Richter fungirt oder den Drachen zu
Babel bezaubert, während er in der Löwen-
grube ganz unbekleidet erscheint. Dagegen
zeigen ihn verschiedene im griechischen Osten
enstandene Bildwerke, wozu wir die ravenna-
tischen Sarkophage rechnen müssen, in der
letztgenannten Situation mit orientalischer Ge-
wandung. Es ist nur eine richtige Konsequenz,
wenn den drei jüdischen Männern, die in
Babylon dem Feuertode geweiht werden sollten,
die orientalische Tracht gegeben ward — dies
geschah auf Grund der Bibelstelle Dan. III21 —
dies Kostüm auf Daniel und seine Umgebung
zu übertragen, wie der Silberarbeiter gethan
hat. Was die beiden Aeltesten anbelangt, so
ist anzunehmen, dafs ihnen die charakteristische
Kopfbedeckung und der Mantel abgerissen
worden ist, als sie gebunden wurden. Der
Künstler benutzte dies Motiv, um eine ange-
nehme Abwechslung in die gleichförmigen
Gestalten zu bringen. Für die Art, die Ge-
fangenen darzustellen, waren ihm antike
Triumphalmonumente Vorbilder, auf denen ge-
bundene Barbaren von Soldaten herbeigeführt
werden.

Das Gericht Daniels bildet eine passende
Parallele zu dem Urtheil Salomos. Sonst
vermag ich keinen stofflichen Zusammenhang
zwischen den Kastenreliefs zu entdecken, der
sich ungesucht ergibt. Die Darstellungen,
welche zum Schmuck der Grabstätten und
Sarkophage gewählt wurden, sind in den
meisten Fällen durch einen einheitlichen Ge-
danken verbunden. Bei den Werken der
Kleinkunst, die gröfstentheils ursprünglich nicht
für Kultuszwecke gearbeitet wurden, war die
Wahl eine freiere, erfolgte mehr nach äufser-
lichen Gesichtspunkten, z. B. nach Aehnlich-
keit der Kompositionen, und nach persönlicher
Laune. Wer überall Zusammenhänge sucht,
wird in manches Bildwerk Gedanken hinein-
interpretiren, die der Schöpfer nicht gehabt hat.

Die Heimath des Silberkastens läfst sich
mit absoluter Genauigkeit nicht bestimmen.
Unsere Betrachtung hat gezeigt, dafs seine
Reliefs nicht unerheblich abweichen von den
Typen, die~im Abendland geläufig waren,
manche Einzelheit, wie die Tracht Daniels,
die Auffassung des Engels als Bote weist direkt
nach dem griechischen Osten, drängt zu der
Vermuthung, dafs der Kasten von dort nach
Italien exportirt und später zur Aufnahme der
 
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