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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Beissel, Stephan: Die Kirche U L. Frau zu Trier
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Prill, Joseph: In welchem Stile sollen wir unsere Kirchen bauen, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0161

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247

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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das Trifolium und gehen die Gesimse wie
Reifen um die Säulen. Wer weifs, ob nicht
der Baumeister der Liebfrauenkirche der Leiter
der Trierer Dombauhütten war, der im
Strome der damaligen Entwickelung stand?
Im Ostchore des Domes und in dem Kreuz-
gange zeigt sich eine stete Entwickelung, der
Uebergang aus der romanischen Kunst in die
gothische. Konnte ein talentvoller Steinmetz
jener Zeit nicht bei Beginn einer neuen Kirche,
bei der Uebernahme einer neuen Arbeit, einen
Sprung wagen, einen Aufschwung nehmen und
in neue Bahnen einlenken, zu der so glänzende
Vorbilder ihn hinzogen?

Schnaase geht nicht zu weit, wenn er
den leider unbekannten Steinmetzen, welcher

den Plan der Liebfrauenkirche entwarf und
ausführte, ein hohes Lob spendet, indem er
schreibt:

„Er verrieth an keiner Stelle die Mattigkeit
des Nachahmers; jede Linie der Pronlirung,
jedes kleinste Detail athmet vielmehr eine
Wärme der Empfindung, welche dem ganzen
Werke einen Charakter der Jugendfrische und
anspruchsloser Schönheit verleiht, die jeden
empfänglichen Zuschauer entzückt. So trat der
gothische Stil schon bei seinem ersten Erscheinen
auf deutschem Boden mit voller Selbstständigkeit
und mit tieferem Verständnifs des Prinzips auf;
der deutsche Geist behandelte ihn nicht als
eine fremde, fertige Schöpfung, sondern als sein
Eigenthum." Stephan Beiss ei.

In welchem Stile sollen wir unsere Kirchen bauen?

IV.

ie bisher wiedergegebenen und be-
sprochenen Einwürfe haben, wie
uns scheint, die Beweisführung der
Gothiker nicht erschüttert; wir
glauben dieselben sämmtlich als nicht stich-
haltig erwiesen zu haben.

Aber damit können wir unsere Aufgabe
nicht als erledigt betrachten, vielmehr haben
wir blofs für die Behandlung der Kernfrage
den Weg freigemacht, der Frage nämlich: be-
sitzt der romanische Stil ein solches Mafs von
Vorzügen, dafs er auch neben dem eingestan-
denermafsen vollko.mmneren gothischen Stil
noch berechtigt erscheint. So lautet nämlich
die Forderung unseres hochverehrten Gegners:
„Freigebung des romanischen Kirchenbaues und
die Aufhebung des Monopols für den gothischen,
das weder aus stilistischen noch aus ästhetischen
noch aus praktischen Gründen zu rechtfertigen
ist." (a. a. O. S. 107.)

Zu Gunsten des romanischen Stiles wird
zunächst folgendes ausgeführt (a. a. O. S. 85)
„Die Vorzüge der Gothik und ihre bestechenden
Reize dürfen unser Auge nicht so blenden,
dafs es blöde wird gegen die unleugbaren und
eigenartigen Schönheiten der romanischen Kunst,
uns den Geschmack an ihr verdirbt und unser
Urtheil zu ihren Ungunsten besticht; die Gothik,
das soll ihr zugestanden sein, und haben
wir oben ausdrücklich ihr zugestanden, leistet
Höheres, vielleicht sogar das denkbar Höchste

in Bewältigung und organischer Durchbildung
der Mauermassen. Aber der romanische Kirchen-
bau kann doch auch im Vergleich mit' ihr nicht
als ein konstruktiv verfehltes, unorganisches,
künstlerisch werthloses oder ganz minderwerthiges
Gebilde bezeichnet werden. Es waltet doch
auch hier ein konstruktives Gesetz, ein Streben
nach Belebung und organischer Beseelung todter
Massen, nur ein viel einfacheres und schlichteres,
und auch hier erstehen wirkliche Organismen,
nur Organismen anderer Gattung, kräftigeren,
urwüchsigeren Schlages. Zwar wird der Gegen-
satz zwischen tragenden und getragenen Gliedern
nicht geradezu aufgehoben wie im gothischen
Stil, sondern in seinem Recht belassen, aber
völlig befriedigend in ein richtiges naturgemäfses
Gleichgewicht gebracht. Es wird die Horizon-
tale nicht völlig aufser Kraft und Geltung ge-
setzt; der romanische Stil arbeitet vielmehr mit
der Horizontalen und mit der Vertikalen, läfst
beide kraftvoll zusammenwirken, weckt durch
die Strebekraft der Vertikalen die Horizontale
aus todter Ruhe und dämpft durch das ruhige
Beharren der Horizontalen und namentlich auch
durch den gemessenen Aufschwung des Halb-
kreisbogens das unruhige Emporeilen der Ver-
tikalen. Auch hier keine unerlöste Schwere,
sondern künstlerische Bewältigung und Durch-
gliederung der Mauermassen, ja im spätroma-
nischen Stil bereits ein überaus reiches und
weitgehendes Streben nach Auflösung und
kühner Durchbrechung, der Wände durch
 
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