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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Bertram, Adolf: Zur Kritik der ältesten Nachrichten über den Dombau zu Hildesheim, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0100

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147

1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

148

Zur Kritik der ältesten Nachrichten über den Dombau zu Hildesheim.

II. Vom Dombau Bischof Altfrids.
Mit Abbildung,
at die Legende vom Reliquien wunder
und die darauf gegründete Ver-
ehrung des Altares der Marien-
kapelle als Wunderstätte Einflufs
auf den Dombauplan des Bischofs Altfrid geübt?
Diese Frage wird durch den Ideengang der
Fundatio dem Leser nahegelegt.

Zu den feierlichsten liturgischen Akten bei
Gründung und Weihe einer neuen Kirche ge-
hört die Uebertragung der Reliquien. Durch
diesen Akt nimmt der Heilige gleichsam körper-
lichen Besitz vom kirchlichen Grundstück und
Gebäude und von der Ausstattung des neuen
Stiftes; es wird das Band geschlungen zwischen
dem himmlischen Patron und der kirchlichen
Genossenschaft. Spätere Schenkungen und
Gütererwerbungen erfolgen durch symbolische
Uebertragung auf die Reliquien, in denen der
Heilige selbst stets gegenwärtig erscheint, und
in deren Kult sein Verhältnifs als geistiger Herr
des Stifts sich verkörpert. Kein Wunder drum,
wenn gerade der Akt der Reliquienübertragung
im Laufe der Zeit, wie bei verschiedenen hildes-
heimschen Klöstern, so auch beim Domstifte
mit anmuthig ausschmückender Legende sich
umkleidete. Bei der engen geistigen Verbin-
dung Hildesheims mit der berühmten Metro-
pole Nordfrankreichs ist es, wie wir sahen,
leicht erklärlich, dafs Züge aus dem nordfran-
zösischen Sagenschatze auch in unserem Dom-
kloster erzählt wurden. Fehlten nun den späteren
Geschlechtern genaue Nachrichten über die
einzelnen Vorgänge bei der Gründung des hei-
mischen Domes, so lag es nahe, dafs — mehr
oder minder absichtslos — eine schriftlich oder
mündlich überkommene Legende bald auf die
dunkle Urzeit des eigenen Domes sich über-
trug. Zu welcher Zeit nun eine solche Adoption
der fremden Legende stattfand, ist nicht er-
weislich. Ob etwa schon vor Altfrids Re-
gierungsantritt? Schwerlich. Waren doch kaum
mehr als 30 Jahre bis auf Altfrid verflossen.
Wohl können in so kurzer Zeit nebensäch-
liche Vorgänge in ihren Einzelheiten verdunkelt
werden. Aber ein so tief einschneidendes Er-
eignifs, wie die Gründung des Bischofsitzes in
einem unterjochten heidnischen Lande durch
den Kaiser, wurde doch von Klerus und Volk

so scharf in allen Einzelheiten beobachtet, dafs
es undenkbar ist, nach 30 Jahren habe eine
fremde Wunderlegende diesen Vorgang so um-
kleidet, dafs der erste Altar schon jene spe-
zifische Verehrung als Wunderstätte gefunden
habe, wie sie die Fundatio ihm erweist. — Es
ist deshalb nothwendig, aus den Motiven zum
Dombaue Altfrids die Rücksichtnahme auf das
Reliquienwunder und auf die dadurch dem
Kapellenaltare gegebene Berühmtheit auszu-
scheiden. Zur Verbindung seines Domes mit
einer Ludwigschen Marienkapelle werden neben
einer Pietät gegen die erste Kapelle und
deren Patronin wesentlich Erwägungen prak-
tischer Art den umsichtigen und klugen Mann
bewogen haben. Der Wunsch, den Dom,
dessen erste Lage die Fundatio in der Ostecke
des Domhügels über dem Treibebache zeigt,
mehr in die Mitte der Domburg zu rücken,
mufste doch sehr nahe liegen. Den späteren
Geschlechtern waren solche Motive zu nüchtern.
Rühmten sich die Klöster des Bisthums, vor
allem die alten Stifte Gandersheim und Lam-
springe, mit den Wundern ihrer Entstehung,
so brauchte des Bisthums ehrwürdigste und
höchste Kirche, Hildesheims Mariendom, nicht
zurückzustehen. Unbewufst oder mit etwas
Absicht übertrug sich im Laufe der drei ersten
Jahrhunderte die schöne Legende vom Reliquien-
wunder in St. Mihiel auf die Gründung unseres
Bisthums, und nun erschien seit Mitte oder
Ende des XL Jahrh. Altfrids Dom mit dem
Hauptaltare seiner Unterkirche doppelt ehr-
würdig.

Das Reliquienwunder ist nicht die einzige
Anleihe, die die Fundatio zwecks Ergänzung
der Dombaugeschichte bei auswärtigen Le-
gendenkreisen aufgenommen hat. Auch was
sie vom Hergange beim Bau des Altfridschen
Domes zu erzählen weifs, ist fremden Ursprungs:
die wunderbare Gründung des ehrwürdigsten
Mariendomes der Welt, die Schneefall-Legende
von S. Maria Maggiore zu Rom, erzählt die
Fundatio getrost von unserem Mariendome,
der ja im XL Jahrh. schon ein hohes An-
sehen weit über die Grenzen Sachsens hinaus
erlangt hatte. Wie in Rom um 352 in der
Nacht vom 4. zum 5. August auf das Gebet
des Patriciers Johannes frischer Schneefall droben
auf der Höhe des Esquilinischen Hügels den
 
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