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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Kisa, Anton Carel: Vasa diatreta, [3]
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Prill, Joseph: In welchem Stile sollen wir unsre Kirchen bauen?, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0062

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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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Rhein, zwei in Pannonien und zwei in cis-
alpinischen Gallien gefunden wurden. Weder
in Pannonien noch im nördlichen Italien gab
es in römischer Zeit eine nennenswerthe ein-
heimische Glasindustrie, die Fundorte der Dia-
treten liegen dort in Militärstationen, deren
Besatzung mehrfach mit der rheinischen wech-
selte. Sie können durch höhere Offiziere und
Beamte dahin gebracht sein. Wenn man noch
erwägt, dafs an den übrigen Centren der an-
tiken Glasindustrie, in Alexandrien, Sidon, Cam-
panien, Gallien, Diatreta bisher nicht gefunden
worden sind, können wir wohl rheinische Glas-
werkstätten als Schöpfer dieser kostbaren Luxus-

gegenstände ansehen. Sie werden nur kurze
Zeit von Wenigen in wenigen Exemplaren her-
gestellt worden sein. Daraus würde es sich
erklären, dafs sich die antike Litteratur mit ihnen
nicht beschäftigt hat. Der Spruch „piezeses"
auf dem aus Köln stammenden Becher des
Berliner Antiquariums, sowie auf dem im Pester
Nationalmuseum ist altchristlich. Die Bekenner
des Evangeliums haben sich demnach neben
der Technik des fondo d'oro, und der Gra-
virung auch die letzte Glanzleistung der antiken
Kunstindustrie, das durchbrochene Netzwerk in
Glas dienstbar gemacht.

Aachen.

Anton ICisa.

In welchem Stile sollen wir unsre Kirchen bauen ?

(Forts, aus Jahrg-. XI Sp. 245 ff. u. 267 ff.)

III.

|och ein doppelter Einwand wird
schliefslich gegen die Forderung
der „exclusiven" Gothiker erhoben:
1. In der Kirchenmusik erkennt
man den unvollkommneren Choral noch neben
der vervollkommneten Musik, dem Palestrina-
stil als berechtigt an, — warum also nicht
ebenso in der Architektur? 2. Die Gothiker
selbst nehmen verschiedene Stile als berechtigt
an, den früh-, hoch- und spätgothischen, welche
weiter auseinander liegen als romanisch und
frühgothisch.

Die Besprechung dieser Einwürfe ebnet zu-
gleich den Weg zu einer positiven Beantwor-
tung unsrer Frage.

Die erste" Einwendung fafst das »Archiv für
christl. Kunst«, 1897 S. 75, in folgende Worte:
„Auch das andere Raisonnement ist nicht ent-
scheidend und zwingend: der gothische Stil ist
nur die Fortentwicklung des romanischen, die
reife Frucht der romanischen Periode; wer wird
also das Unvollkommene dem Vollkommenen
das Unfertige dem Fertigen, das Unreife dem
Reifen Vorziehen oder neben dem letztern noch
das Erstere festhalten wollen? Die Palestrina-
musik, der kontrapunktische mehrstimmige Chor
hat sich aus dem einstimmigen Choral heraus-
gebildet und bezeichnet gewifs eine höhere
Stufe künstlerischer Vollendung, und doch
bleibt neben ihr der Choral noch in Recht
und Pflege".

Die Begründung ist bestechend, aber doch
nicht durchschlagend. Denn thatsächlich ist

das Verhältnifs der kontrapunktischen Musik
zum Choral ein wesentlich anderes als das des
gothischen zum romanischen Stil. Die Gothik
ist die reife Frucht des romanischen Stils, sie
ist das Fertige gegenüber dem Unfertigen, das
Reife gegenüber dem Unreifen. Der schon in
der romanischen Kunst lebendige Entwicklungs-
keim hat in rastloser Arbeit die alten Hüllen
gesprengt, die Elemente umgeschaffen zu einem
ihm vollkommen angepafsten Körper. Der
Choral dagegen hat sich nicht zum Kontra-
punkt entwickelt, er ist geblieben was er
war. Die mehrstimmige Musik ist demnach
auch nicht die Ausgestaltung eines im Choral
schlummernden Lebenskeimes, sondern eine
demselben geradezu gegenüberstehende Musik-
art, welche nur die im Choral vorliegenden
Elemente für sich verwerthet hat. Der Choral
ist ganz wesentlich einstimmiger Gesang, die
Palestrinamusik ebenso wesentlich mehrstimmig,
der Choral hat freien Rhythmus, der Kontra-
punkt gebundenen, die Choralweisen sind auf-
gebaut nicht blos aus Einzeltönen sondern aus
eigenthümlichen Tongruppen, welche die
kontrapunktische Musik, als sie die Choral-
melodien verwerthete, wieder auflösen mufste.
Es ist somit in dem kontrapunktischen Gesang
keine Spur von Fortentwicklung des Chorals,
vielmehr besteht sie wesentlich darin, dafs einer
aus dem Choral oder auch anderswoher ent-
liehenen Tonreihe eine zweite, dann auch
mehrere in harmonisch geordnetem Verhältnifs
zur Seite gestellt wurden. Dafs gerade die
Choralmelodien zu den kontrapunktischen Ge-
 
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