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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Prill, Joseph: In welchem Stile sollen wir unsre Kirchen bauen?, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0063

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1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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bilden verwoben wurden, ist nicht einmal
wesentlich. Es hätten auch andere sein können,
wie es zum Theil auch andere gewesen sind.
Wollte die mehrstimmige Musik aber neben
dem Choral in die Kirche Eingang finden, so
mufsten ihre Weisen allerdings sich an jene
der Kirche anschliefsen. Mag man nun den
kontrapunktischen Gesang mit seinen wunder-
baren Verschlingungen und seinen reinen Har-
moniefluthen für eine höhere Stufe künstlerischer
Vollendung ansehen als den Choral, jedenfalls
ist er keine Vervollkommnung dieses letztern
oder aus ihm herausgewachsen wie die Gothik
aus der Romanik. Und daher hat er auch
niemals den Choral ersetzt oder verdrängt,
sondern ist nur neben demselben zugelassen
worden, während der Choral selbst stets der
an erster Stelle berechtigte kirchliche Gesang
geblieben ist. — Ohne dafs wir auf diese Unter-
suchung tiefer eingehen, dürfen wir das doch
als ausgemacht betrachten, dafs der Palestrina-
stil zum Choral in einem ganz und gar andern
Verhältnifs steht als die Gothik zur Romanik,
daher aus jenem für dieses kein Schlufs ge-
zogen, kein Einwand erhoben werden kann.

Es ist überhaupt immer mifslich, Forde-
rungen oder Zugeständnisse aus einem Kunst-
gebiete ohne weiteres auf ein anderes zu über-
tragen, denn in jedem gibt es Gesetze und
Rücksichten, welche ihm ganz allein eigen sind.
Wäre auch zwischen Palestrinamusik und Choral
genau dasselbe Entstehungsverhältnifs wie zwi-
schen Gothik und Romanik, so würde aus dem
Umstand, dafs die beiden Musikarten neben
einander zugelassen werden, für unsre Frage
noch gar nichts folgen. Hier könnten vielmehr
noch immer sehr wichtige Gründe das als un-
tunlich erscheinen lassen, was in der andern
Kunst ohne Bedenken zugelassen werden kann.
Denken wir z. B. nur daran, dafs die musika-
lischen Kunstwerke ohne Bestand sind und
flüchtig wie ein Hauch an uns vorübereilen.
Haben sie unser Ohr erreicht, unsern Geist
entzückt, unser Herz gerührt, dann sind sie
schon nicht mehr. Neue folgen ihnen und ver-
wehen wie sie. So ersteht an demselben Orte,
vor denselben Zuhörern ein Werk nach dem
andern, keins aber bleibt. Anders in der Bau-
kunst. Da kann ich nicht sagen: heute dieses,
morgen jenes; sondern nur entweder dieses

oder jenes. Nur eines von beiden, nicht beide
kann ich wählen. Da werden freilich für die
Wahl viel strengere Grundsätze aufgestellt werden
müssen als in der flüchtigen Kunst Euterpe's.
Doch hierauf müssen wir in anderm Zusammen-
hang zurückkommen.

Auch deshalb kann man die verschiedenen
Darstellungsarten, die „Stile", innerhalb der
einen Kunst nicht ohne weiteres mit denen in
einer andern Kunst auf gleiche Stufe stellen,
weil Werth und Bedeutung der „Stile" in den
verschiedenen Künsten selbst nicht gleich sind.

In der Musik ist Stil etwas anderes als
in der Baukunst oder der Bildnerei. Man ver-
steht ja unter Stil die Eigenart der künst-
lerischen Darstellung, das eigenthümliche Ge-
präge, welches einer Gruppe von Kunst-
werken gemeinsam ist und sie von andern
unterscheidet, aber die Gründe, worin diese
Eigenart beruht, können doch recht verschie-
dene sein. Hier ist es der Stoff, welcher die
eigenthümliche Form bestimmt, z. B. beim Holz-
stil gegenüber den Steinbauten, dort die Zeit,
z. B. beim altchristlichen Stil gegenüber dem
mittelalterlichen, dort der Zweck der Werke,
z. B. beim Kirchen-, Palast-, Festungsstil; dann
wieder die Eigenart des Volkes, z. B. italienischer
und niederländischer Stil in der Malerei, dann
wieder die Eigenart einzelner Künstler z. B.
Stil Giotto's und Raphaels u. s. w. Ob und
wieweit nun verschiedene Stile neben einander
berechtigt sein können, das läfst sich nicht aus
allgemeinen Erwägungen heraus entscheiden,
sondern nur, indem die in Frage stehenden
Stile selbst in sich und in ihrem Verhältnifs zu
einander ins Auge gefafst und beurtheilt werden.

Indem wir das unternehmen, wenden wir
uns dem positiven Theil unsrer Aufgabe zu.

Doch es ist ja noch ein Einwand zu er-
ledigen, und zwar ein schwerwiegender: Die
Gothiker selbst lassen drei Stile zu, warum
also nicht den vierten? Wir wollen diesem Ein-
wände, der in der That am meisten Gewicht
hat, durchaus nicht aus dem Wege gehen,
halten aber dafür, dafs er nicht besprochen
werden kann, ohne dafs wir auf den Kern der
Sache eingehen und die in Frage stehenden
Stile genau analysiren, dann aber auch von
selbst sich beantwortet. (Forts, foigt.i

Essen. Joseph Prill.
 
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