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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Bertram, Adolf: Zur Kritik der ältesten Nachrichten über den Dombau zu Hildesheim, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0115

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171

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 6.

172

Zur Kritik der ältesten Nachrichten
III. Azelins Dombau.

(Mit Abbildung.)
schof Azelin fiel die Aufgabe zu,
die 1046 niedergebrannten Gebäude
neu zu errichten. Die wichtigste
Frage war, ob er nur das Alte wieder-
herstellen, den Dom in seinen bescheidenen
früheren Dimensionen belassen, die Kapitels-
gebäude wieder an die alte, nicht sehr günstige
Stelle legen sollte, — oder ob er auf ganz
neuer Grundlage eine allerdings kostspieligere,
aber doch wünschenswerthe gröfsere Schöpfung
wagen sollte, die den seit 872 ganz bedeutend
gestiegenen Anforderungen gewachsen sei. Der
thatkräftige1) Mann wählte den letzteren Plan,
der Muth und Opfer genug von Bischof und
Klerus heischte. Allein der Plan mifslang.
Und nun — es ist das ein Zug, der uns nicht
selten bei den Chronisten begegnet — erschien
das hochsinnige Unternehmen als ein Vergehen
gegen Gottes Willen, und der energische Bau-
herr als bestrafter Sünder. Doch der Historiker
soll ein solches Bauunternehmen nicht nach eng-
herzigen Auffassungen einer knappen chroni-
stischen Aufzeichnung, sondern unter voller Be-
rücksichtigung der damaligen Zeitverhältnisse
beurtheilen; sonst wird die Beurtheilung eine
schiefe und fehlsame werden.

Wer die Entwicklung der Baukunst und
aller bildenden Künste, und dazu das Anwachsen
des Klerus und der Stadt Hildesheim unter
den grofsen Oberhirten Othwin, Bernward und
Godehard verfolgt, dem kann es nicht zweifel-
haft sein, dafs Azelin nicht von Leichtsinn und
Ruhmsucht, sondern von dem steigenden Ver-
langen des Klerus und Volkes nach gröfseren
Räumen geleitet wurde. Auch das scheint uns
kaum zweifelhaft, dafs Azelin im Hinblick auf
die steigende Zahl der Kanoniker, der übrigen
Geistlichkeit und der Schüler statt des in die
Südostecke des Domhügels geschobenen und
vom schmutzigen Treibebache eingeengten
Domklosters durch Verschiebung des Domes gen
Westen die breite Mittelfläche des Domhügels als
geräumigen und gesunden Platz für umfassende
Wohn-, Wirthschafts- und Schulgebäude ge-
winnen wollte. Diese Erwägungen berechtigen
uns, den Vorwurf, als habe er „unbedachtsam"

l) Azelinus, in divinis et humanis feliciter strenuus.
i (Wolfher c. 33.)

über den Dombau zu Hildesheim.
{inconsulte) gehandelt, als unzutreffend oder doch
recht einseitig zu bezeichnen. — Auch was man
so vielfach liest von der „Entartung" der Dom-
geistlichkeit unter Azelin und durch Azelins
Schuld, bedarf sehr der Einschränkung. Richtig
ist, dafs die ehemalige stramme Zucht, die
altsächsisch bäuerliche Einfachheit und die
ganz klosterähnliche Haus- und Lebensordnung
der Kanoniker schwand. Richtig ist auch, dafs
die schirmenden Schranken der vita communis
fielen, als mit Einäscherung des Domklosters
die Voraussetzungen einer ganz gemeinsamen
Lebensweise schwanden. Nicht erweislich ist
jedoch, dafs in Azelins Gesinnung, Wirken oder
Bauunternehmen der Hauptanlafs zu diesem
Wandel gelegen habe. Es vollzog sich viel-
mehr, durch die Folgen des Dombrandes ge-
fördert, eine unvermeidliche Umgestaltung einer
überlebten Ordnung.

Wie hatte sich doch seit Altfrids Tagen
alles geändert! Der bäuerlich eingerichtete
Bischofshof Hildenesheim war einer stattlich
ummauer.ten Bischofsburg gewichen, deren
Ruhm als einer der bedeutendsten Kulturstätten
Deutschlands in aller Munde war. Wo früher
hörige Handwerker in ärmlichen Hütten die
allernöthigsten Geräthe für Haus und Hof noth-
dürftig herstellten, da erhoben sich2) neben
ausgedehnten Wirthschafts- und Arbeitsgebäuden
die Erzgiessereien, deren unvesgleichlich kühne
und inhaltstiefe Erzeugnisse als wahre Grofs-
thaten menschlicher Schaffenskraft noch heute
Staunen und Ehrfurcht heischen, dann die
Werkstätten der Goldschmiede und Maler, die
Schreibschulen, die Glashütten, die Hütten der
Steinmetzen, Räume für musivische Arbeiten etc.
Immer mehr stiegen mit dem Aufblühen der
Landwirtschaft, mit dem Erwerbe werthvollen
Grofsgrundbesitzes, einträglicher Revenuen und
Hoheitsrechte, mit der Blüthe von Kunst und
Wissenschaft und mit der Entwicklung und
den Wirren der Politik —, immer mehr wuchsen
seit Othwin, Bernward und Godehard die kirch-
lichen, culturellen und wirthschaftlichen Auf-
gaben der ersten geistlichen Körperschaft, die
mitregierend an der Seite des Bischofs, mitver-

2) Vgl. die einschlägigen Aufzeichnungen in T h a n g-
mar, »Leben Bernwards«, in Wolfher, »Leben
Godehards«, im Chronicon Hildensemense, deren Mit-
theilungen durch die noch erhaltenen Kunstschätze
bestätigt und ergänzt werden.
 
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