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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Braun, Joseph: Der Paramentenschatz zu Castel S. Elia, [1]
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291

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

292

Der Paramentenschatz zu Castel S. Elia.

I. Die Pontifikalsandalen und Mitren.

(Mit 3 Abbildungen.)

as ist und wo liegt Castel S. Elia,
wird man vielleicht fragen. Castel
S. Elia ist ein kleines Dorf bei Nepi
im Norden der römischen Cam-
pagna und etwa drei Stunden von dem viel-
besungenen Soracte entfernt. Der Ort thront
malerisch auf den schroffen Höhen eines ro-
mantischen Felsenthales, in welchem starrendes
Gestein, jähe Hänge, grünes Gelände, ein rau-
schendes Flüfschen, Busch- und Baumwerk zum
reizendsten und wechselndsten Bilde sich einen.
Unten im Thale liegt die alte Abteikirche
S. Elia, eine dreischiffige Säulenbasilika, deren
antike Säulen, wer weifs, welchen Tempel oder
welche Prachtvilla geziert haben mögen. Die
jetzige Kirche wird der Frühe unseres Jahr-
tausends enstammen, doch weisen zahlreiche
Skulpturreste mit dem bekannten longobar-
dischen Flechtwerk auf einen frühern Bau hin.
Der Ueberlieferung nach soll das Kloster S. Elia
im VI. Jahrh. vom heiligen Abt Anastasius ge-
gründet worden sein. Die gegenwärtige italie-
nische Regierung hat die Kirche den sog.
Nationalmonumenten eingereiht und als solches
an sich genommen. Für den Unterhalt des
Baues thut sie aber so wenig, dafs, wie ich mit
eigenen Augen sah, der Regen förmlich durch
das Dach fliefst. Wie es unter solchen Um-
ständen mit den höchst interessanten Fresken,
welche Absis, Querhaus und theilweise die
Wände der Seitenschiffe schmücken, aussieht,
läfst sich an den Fingern abzählen. Die
Wandmalereien gehören zum Theil dem
XIV. und XV. Jahrh. an, zum Theil mögen
sie aus der Zeit der Erbauung der jetzigen
Kirche stammen.

Von dem Kloster S. Elia steht nichts mehr.
Die Kirche wird nur noch selten zur Abhaltung
des Gottesdienstes verwendet. Pfarrkirche des
Ortes ist ein Bau des Barocks inmitten des
Dorfes, welcher in architektonischer Hinsicht
keine gröfsere Bedeutung hat, wie tausend andere
gleichartige Dorfkirchen Italiens. Was sie aber
vor allen ihren Schwestern auszeichnet und ihr
sogar einen Vorrang vor den hervorragendsten
Domen der ganzen Halbinsel verleiht, ist ihr
mittelalterlicher Paramentenschatz, der in Italien
nirgends seines Gleichen hat.

Allerdings darf man, wenn man vom Para-
mentenschatz zu Castel S. Elia spricht, das Wort
nicht in dem gewöhnlichen Sinne gebrauchen.
Wer erwartet, daselbst viele kostbare Stoffe, herr-
vorragende Stickereien und ähnliches zu finden,
wird sich enttäuscht sehen. Schätze dieser Art
birgt die Pfarrkirche keine. Und doch wird
man mit allem Fug von einem wahren Schatze
reden dürfen, wenn man die aufserordentlich
grofse Zahl der in der Dorfkirche noch
vorhandenen mittelalterlichen Paramente und
ihre Bedeutung sowohl für die formelle Ent-
wicklung der Sacralgewandung im XIII., XIV.,
XV. und XVI. Jahrh. als auch für die Kennt-
nifs der damaligen Alltagsmefskleidung in's
Auge fafst. Denn als solche hat die Mehr-
zahl der Gewänder sonder Zweifel gedient.
In dieser Beziehung sind die Ornatstücke
zu Castel S. Elia trotz ihrer theilweise äufser-
sten Schlichtheit und ihrer traurigen Ver-
wahrlosung von höchster Wichtigkeit und bei
weitem beachtenswerther als beispielsweise die
Prachtstücke im Schatze der Kathedrale von
Anagni. Hier bewundern wir allerdings wahre
Meisterwerke mittelalterlicherOrnamentensticke-
rei wie Nadelmalerei; was aber die Form anlangt,
so hat die Veränderung, welche gegen Ende
des XVI. Jahrh. mit den hauptsächlich in Be-
tracht kommenden Gewändern von Anagni vor
sich ging, dieselben so sehr entstellt, dafs sie
in dieser Beziehung wenig mehr Bedeutung
haben, als so viele andere zugestutzte Para-
mente aus dem Mittelalter.

Von unschätzbarem Werthe ist der Para-
mentenschatz von Castel S. Elia insbesondere
für die Geschichte der mittelalterlichen Para-
mentik in Italien; denn wenn sich auch noch
in einzelnen andern Kirchen daselbst liturgische
Gewandstücke aus dem Mittelalter erhalten
haben, so ist die Zahl derselben jedoch im
Ganzen gering.

Die Gesammtzahl der zu Castel S. Elia noch
vorhandenen alten Ornatstücke beläuft sich auf
25, von denen allerdings etwa drei sich in
äufserst schadhaftem Zustande befinden. Im
Einzelnen enthält der Schatz zwei Paar Pontifikal-
schuhe des XII. und ein Paar des XIII. Jahrh.,
zwei Mitren des frühen XIII. Jahrh., zwölf
Kasein, welche sich auf die Zeit vom XIII. bis
zum XVI. Jahrh. vertheilen, fünf Alben, welche
 
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