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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Oidtmann, Heinrich: Die Schweizer Glasmalerei vom Ausgange des XV. bis zum Beginn des XVIII. Jahrh., [1]
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Bücherschau
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317

1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

818

Sitte der Scheibenschenkungen einzig und allein
innerhalb der Schweiz, allenfalls noch in den
benachbarten deutschen Grenzbezirken5) die
allgemeine Bedeutung einer wirklichen
Volkssitte und dadurch neben ihrer
Eigenart eine hohe Entwicklung, eine
ungeahnte Ausbreitung gefunden hat,
die nirgendwo ihresgleichen findet, so dafs die
Schweizer Glasmalerei mit Fug und Recht zu
einem feststehenden Begriff gestempelt werden
konnte, um so mehr, als die Malweise sich in
gleicher Weise auf die Kirchenmalerei erstreckte.
Dieser lediglich schweizerische Brauch, ent-
standen in den ruhmvollen Zeiten der Burgunder-
kriege, in denen die Eidgenossenschaft die
stolze Macht Karls des Kühnen gebrochen, die
Schlachten von Granson, Murten und Nancy
gewonnen hatte, entwickelte sich zur höchsten
Blüthe in jener glorreichen Glanzzeit, als die
Höfe von Frankreich, Mailand und Oesterreich
um die Freundschaft und Hülfe der Eidgenossen
warben, als die volkswirtschaftlichen Verhält-
nisse äufserst günstig standen und allgemeiner
Wohlstand über das kleine Land verbreitet
war. Die Volkssitte erreichte in langsamem
Steigen um die Mitte des XVI. Jahrh. ihren
Höhepunkt, blieb auf diesem unter unbedeutenden
Schwankungen geraume Zeit hindurch stehen,
um dann im XVII. Jahrh. nach und nach, zuerst
in der Güte der Arbeit, nachzulassen. Immer-
hin erhielt sich der Brauch zu einer Zeit, als
anderwärts die Kunst des Glasmalers gänzlich

6) Steinhaus zu Ueberlingen, Radolfzell, Dietenheim,
Rathhaus Pfullendorf, Meersburg, Jestetten, Thiengen
u. a. — Zu Villingen war „der Herren Stube an der
Rietgasse mit Glasgemälden von Aebten und Johanniter,
komthuren geziert"; 1556—58 wurde der Kreuzgang
zu St. Blasien mit den Wappen „etlicher Fürsten,
Prelaten, Grafen, Ritters, Herren, Edelleuten" versehen.

vernachlässigt wurde, in der Schweiz fand sie
bis in die 2. Hälfte des XVIL, stellenweise bis
tief in das XVIII. Jahrh. hinein lobenswerthe
Pflege, allerdings zuletzt nicht mehr seitens
gottbegnadeter Künstler.

In vortrefflicher Uebersicht schildert
Meyer 6) in seinem lehrreichen Buche unter
Einschaltung sittengeschichtlicher und volks-
wirtschaftlicher' Betrachtungen die Entstehung,
die Blüthe, die Verkümmerung, das Absterben
und das endliche Eingehen der Sitte. In an-
schaulicher, lebendiger Darstellung läfst er die
mannigfaltigen Gesichtspunkte vor den Augen
des Lesers vorüberziehen, unter welchen ver-
schiedene Menschenalter die Wappenscheiben
betrachtet und beurtheilt haben mögen. „Der
erste Empfänger suchte die Schenkungen, weil
er dadurch unterstützt und geehrt wurde.
Für ihn ist die Person des Wappenträgers
seines Zeitgenossen, Mitbürgers etc. mit ihren
Attributen und Vorzügen, die Schenkung von
seiner Seite die Hauptsache. Der nachfolgende
Besitzer sichtet und sondert; ist der Wappen-
träger auch ihm bekannt, auch sein Donator,
so ehrt auch er sein Wappen, ist das nicht
der Fall, so ist er kühl dagegen, und hafst
er ihn, so ist er feindselig gegen dessen Re-
präsentanten. Die Gegenwart aber schätzt
die Scheiben Donator hin, Donator her, Wappen-
träger bekannt oder unbekannt, geschenkt oder
gefunden oder gekauft, als hübsche Glas-
malerei." [Forts, folgt.]
Linnich. Heinr. Oidtmann.

6) Dr. Herrn. Meyer »Die Schweiz. Sitte der
Fenster- und Wappenschenkung vom XV.—XVII.
Jahrh.« Frauenfeld (1881). Wiederholte Anlehnung
an dieses verdienstvolle Werk ist bei dem folgenden
Abschnitt über die Schenksitte ohne Verzichtleistung
auf Gründlichkeit gar nicht zu umgehen.

Bücherschau.

August Reichensperger 1808—1895. Sein Le-
ben und sein Wirken auf dem Gebiet der Politik,
der Kunst und Wissenschaft. Mit Benutzung seines
ungedruckten Nachlasses dargestellt von Ludwig
Pastor. Mit einer Holiogravüre und drei Licht-
drucken, 2 Bände. Verlag von Herder, Freiburg
1899. (Preis 20 Mk.)
Diese umfängliche, überaus interessante Biographie
ist das Meisterwerk eines, begeisterten Freundes und
ebenso gewiegten Historikers. Ihre Hauptquellen sind
Reichensperger's Tagebücher, Briefe und gedruckte
Schriften, neben welchen aber auch die persönlichen

Verkehrsverhältnisse manchen werthvollen Beitrag ge-
liefert haben. Gerade im Privatverkehr trat das Wesen
Reichensperger's, der eine ungemein gesellige, frei-
müthige, geistvolle, anregende Natur war, am meisten
zu Tage, und nur diejenigen, denen dieser zwanglose
Umgang vergönnt war, haben die Eigenart des un-
gewöhnlichen Mannes genauer kennen gelernt. Aus
ihr haben sich auch, dank den günstigsten Umständen,
die beiden 'seine Berufsthätigkeit noch überstrahlenden
Seiten seines öffentlichen Wirkens entwickelt, seine
parlamentarische Wirksamkeit und sein Eintreten
für die Kunst. Dieses ist sehr verschieden be-
 
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