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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Bertram, Adolf: Zur Kritik der ältesten Nachrichten über den Dombau zu Hildesheim, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0116

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173

1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

174

waltend an der Seite des Propstes stand. Sollte
es denn wirklich nichts weiter als eine „Ent-
artung" gewesen sein, wenn an Stelle der bäuer-
lichen Einfalt und Schlichtheit im Kapitel jetzt
eine gröfsere Bewegungsfreiheit und Selbstän-
digkeit der Glieder dieser einfiufsreichsten
Körperschaft trat? oder sollte jene Kindheits-
zeit des Domkapitels haben fortdauern können,
in welcher die Kanoniker, auch wenn sie längst
ihren Studienkurs beendet hatten, doch noch
täglich dem Dechanten vorzeigen mufsten, wie
viel sie geschrieben, und aufsagen mufsten, was
sie gelernt hatten? und wo sie gleichsam „ängst-

Domtmjnta. y[o_

(Jfani^mdjl.)

zwischen dem Sachsenvolke und dem Könige,
zwischen Kirche und Staat hindernd auf geist-
liche Zucht und ruhige Ordnung in einer Körper-
schaft wirken mufste, die in diese zerrüttenden
kirchlichen und politischen Kämpfe tief hinein-
gezogen wurde. Man hüte sich also, aus der
engherzigen und einseitigen Auffassung der
Fundatio zu weit gehende Schlüsse zu ziehen
auf Azelins Bauunternehmen, auf dessen Anlafs
Bedeutung und Folgen.

Erwägen wir die allseitige hohe Entwick-
lung, welche unser Domstift bis zur Mitte des
XL Jahrh. gewonnen hatte, und dazu das stete
DMrci^rfjrritt.

Dom.

I'1 ' ' ' ' ' ' ' ■ 1-------------------tibi,.

Krypta des Domes Azelins und Westtliurm des Hezilo-Domes.
Nach Zeichnung des Geh. Bauraths Mittelbach. (Entfernung der Apsis Azelins von Hezilo's Domthurm: etwa '

m.)

lieh die Hand unter der Ruthe wegzuziehen
suchten"?3) Und wenn in Kleidung, Kost und
Umgangsform ein Anflug feinerer Lebensart sich
geltend machte — es blieb dabei alles viel
derber und simpler als wir heute ahnen —, so
ist das Bischen Verfeinerung bei dem enormen
Kulturaufschwunge der voraufgehenden acht
Jahrzehnte und bei den damals sehr engen Be-
ziehungen des Hildesheimer Domhofs zum
Goslarschen Kaiserhause erklärlich und be-
rechtigt.

Alles das bringt der Verfasser der Fundatio
nicht in Anschlag, wie er auch verschweigt,
dafs nach Azelins Tode der Riesenkampf

3) Schilderung der Fundatio S. 12.

Wachsen von Volk und Klerus, das Steigen
der Schülerzahl, die Nothwendigkeit bequemer
Unterbringung des Personals des Hauptstifts
und des Godehardinischen Nebenstifts, — so
erscheint uns Azelins grofser Dombauplan und
ein als Annex anzusehender Bauplan des
Domklosters in ganz anderem Lichte. Dort,
nahe am Westrande der Domburg, sollte hinter
der Bernwardinischen Burgmauer eine mächtige
Basilika emporsteigen und — ein würdiges
Gegenstück der nahen Michaelisbasilika Bern-
wards — mit Westchor und Thiirmen weit
hinausschauen über die Bischofswiesen (die
„Venedig") hinweg in das immer mehr sich
lichtende Waldland; das Innere des Domes
(aedificatio longe capacior) sollte geräumigen
 
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