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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Hager, Georg: Das gothische Bürgerspital in Braunau am Inn
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0099

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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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so viel glaube ich vermuthen zu dürfen, dafs
es nicht einer jener kleinen Landmeister war,
die im XV. Jahrh. auch an unbedeutenderen
Orten verhältnifsmäfsig zahlreich safsen. Der
Bau weist vielmehr auf einen bedeutenderen
Meister, der seine Aufgabe in ebenso eigen-
artiger und geistvoller, wie zweckentsprechender
Form erledigte. Insbesondere tritt dies an der
Kirche hervor. Der Gedanke, dem Hauptraum
das Sechseck zu Grunde zu legen, wurde wohl
durch die Forderung hervorgerufen, ein ge-
räumiges einschiffiges Langhaus mit einer aus-
gedehnten westlichen Emporkirche zu erbauen.
Die grofse Breite des Schiffes einerseits, die
freien Stützen, welche für die Emporkirche
nöthig waren, andererseits mochten in Ver-
bindung mit dem Vortheile, welchen der An-
schlufs einer so langen Empore an hohe, bis
zum Gewölbe aufsteigende Pfeiler in künst-
lerischer Beziehung bot, zu der Idee des eigen-
artigen Planes führen. Die gleiche Geschick-
lichkeit in der Raumgestaltung zeigt der Chor
durch seine grofse Raumausnützung: nur durch
letztere war die Gewinnung eines breiten und
tiefen Chores und zweier Nebenapsiden bei
einer einschiffigen Anlage möglich. Vielleicht
stammte der Meister aus Passau oder Salzburg.
War doch auch zum Baue der 1439 begonnenen
Pfarrkirche von Braunau ein auswärtiger Meister
berufen worden, nämlich Stephan Krumenauer,
vermuthlich ein Sohn des Passauer Dommeisters
Hans Krumenauer. Stephan Krumenauer, der
auch in Wien, Salzburg und Wasserburg thätig
war, starb während des Baues der Pfarrkirche
in Braunau 1461. Sein Grabstein ist aufsen
an der Südseite der Kirche noch zu sehen.25)
Der Umstand, dafs die Kirche nur im Westen,
d. h. so weit die Tiefe der Empore reicht, drei-
schiffig ist, erinnert an mehrere zweischiffige
Kirchen von Oesterreich und auch der baye-
rischen Inngegend. So gehen die zweischiffigen
Kirchen in Mauthhausen, Ried und Kreuzen26)
in Oberösterreich und in Burgkirchen bei Alt-
ötting im Westen durch Anordnung zweier Pfeiler
in dreischiffige Hallenanlage über. Die Veran-

26) ]■ Sighart »Gesch. d. bild. Künste im Königr.
Bayern« S.437. H. Otte a. a. O. II5, 498. G. Hager
»Monatsschr. d. Hist. Ver. v. Oberb.« (1897) S. 118.

2li) Grundrisse und Beschreibung in »Mitth. d. k. k.
Centralkom. XVII« p. LXXXII, LXXX1II, CLXXXV.

lassung hierzu gaben sicher die nach Landes-
brauch tiefen, die ganze Breite der Kirchen ein-
nehmenden gewölbten Westemporen. Weiterer
Untersuchung mufs die Entscheidung der Frage
vorbehalten bleiben, ob die Spitalkirche von
Braunau die älteste Anlage der Art ist. Da sie
im Gegensatz zu den genannten Beispielen voll-
kommen organisch entwickelt ist und den Geist
eines bedeutenderen Meisters fühlen läfst, so
dürfte ihr die Priorität zukommen. Datirt ist nur
die Kirche von Kreuzen mit der Jahreszahl 1494.
Die Schilderung des Braunauer Spitals hat
uns ein architektonisch interessantes Werk ge-
zeigt mit einer Reihe künstlerischer Details.
Das Wesen des mittelalterlichen Spitals, dieses
„Ausgangs- und Mittelpunktes der Liebesthätig-
keit" in damaliger Zeit, ist hier in selten lehr-
reicher und schöner Weise verkörpert. Ja wir
dürfen sagen: das Problem des Spitalbaues hat
in Braunau im Sinne des späten Mittelalters
eine mustergiltige Lösung gefunden. Pfründ-
haus und Kirche sind eng mit einander ver-
bunden und doch wieder so weit geschieden,
dafs die Würde des Gotteshauses bewahrt
bleibt. Und die Kirche dient ebenso gut
Spitalzwecken wie den Andachtsübungen der
Stadtgemeinde überhaupt. Bezeichnend dafür
ist, dafs ihr Bau schon von ferne in der An-
sicht der Stadt neben der Pfarrkirche einen be-
herrschenden Platz einnimmt.

Es wäre eine lohnende Aufgabe, die mittel-
alterlichen Spitalbauten und Spitalkirchen ein-
gehend zu untersuchen. Schon die wenigen Bei-
spiele, die ich angeführt habe, bekunden, wie
mannigfaltig und originell diese Anlagen oft
sind. Ich erinnere noch z. B. an die acht-
eckige romanische Doppelkapelle hl. Geist
des Spitales in Wisby, an die spätromanische
sechseckige Katharinenkapelle im Spital von
Regensburg - Stadtamhof, an die romanische
zweischiffige Eingangshalle im Spital von Steyer.
Manch werthvollen Aufschlufs für die Kunst-
geschichte würde eine solche Arbeit bringen.
Und die grofse kulturgeschichtliche Bedeutung
des Spitalwesens wird überhaupt erst vollends
in helles Licht gesetzt, wenn auch die Bauten,
in welchen die Liebesthätigkeit des Mittelalters
ihren monumentalen Ausdruck gefunden hat,
mit ins Auge gefafst werden.

München. Dr. G. Hager.
 
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