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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Hager, Georg: Das gothische Bürgerspital in Braunau am Inn
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0098

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143

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

144

Ich habe die Kirche zuerst besprochen, weil
sie der augenfälligste Theil des Spitalgebäudes
ist. Intimere Reize aber birgt das Pfründhaus
im Westen. Dasselbe erhebt sich in drei Ge-
schossen und springt südlich und nördlich be-
deutend über die Flucht der Kirche vor. Ein
nördlich von der Längenachse der Kirche von
West nach Ost ziehender Flötz scheidet die
Geschosse in eine kleinere nördliche und eine
gröfsere südliche Hälfte. Der Flötz im Erd-
geschofs hat zwei schmale hohe Netzgewölbe
und zwei Rippenkreuzgewölbe und öffnet sich
im Osten nach der Kirche. Da die Oeffnung
nur durch ein Gatter verschliefsbar ist, so er-
scheint der Flötz wie eine Vorhalle der Kirche.
Südlich am Flötz liegt die grofse gewölbte Ge-
meinstube der Frauen. Sie ist quadratisch und
wird durch vier achteckige Pfeiler in neun Joche
mit gratigen Kreuzgewölben zerlegt. In den
zwei Jochen, welche an die westliche Kirchen-
wand stofsen, sind kleine rechteckige, gothisch
profilirte Fenster angebracht, welche auch kranken
Pfründnerinnen die Theilnahme am Gottes-
dienste ermöglichen. Durch gemauerte Brüstungs-
wände zwischen den Pfeilern sind in der öst-
lichen und westlichen Jochreihe je drei breite
Alkoven hergestellt, welche ein oder zwei Betten
enthalten. In jedem Alkoven befinden sich
kleine spitzgiebelige Nischen in der Mauer,
welche völlig den Lichtnischen in alten Haus-
gängen etc. gleichen und ursprünglich sicher
zur Aufstellung von Lichtern dienten. Gegen-
über an der Nordseite des Flötzes liegt ein
zweiter kleinerer, ebenso gewölbter Raum mit
sechs Jochen. Er wird jetzt als Holzlege be-
nützt, war aber einst ebenfalls eine Gemein-
oder Siechstube (für die Männer). Darauf deuten
nicht nur die in der Mauer angebrachten Licht-
nischen, sondern auch das gekuppelte (jetzt ver-
mauerte) Spitzbogenfenster, durch das der Raum
sich ehemals nach der Kirche öffnete.

Sehr anheimelnd wirken in dem Flötze die
gemauerten Bänke entlang den Wänden. Vom
Flötz führt eine gewundene Treppe auf die
Empore der Kirche und von dieser tritt man
durch eine Thüre in der Westwand in das
erste Obergeschofs des Spitalgebäudes. Für
den engen Zusammenhang zwischen Kirche und
Pfründhaus ist es charakteristisch, dafs der Zu-
gang zum Obergeschofs nur über die Empor-
kirche ermöglicht wird. Der obere Flötz ist
architektonisch reicher als der untere, er ist

aber auch viel anheimelnder. Das Netzgewölbe
mit den kräftigen, hohl profilirten Rippen, die
gemauerten Bänke an den Wänden, das lebens-
grofse Kruzifix an der Westwand zwischen den
beiden spitzbogigen Nischen mit ihren kleinen
rechteckigen Fenstern und den steinernen Fenster-
sitzen sind von sehr stimmungsvoller Wirkung,
besonders an schönen Nachmittagen, wenn die
wärmenden Sonnenstrahlen hereinfluthen und
in den trauten Raum einen malerischen Wechsel
von Licht und Schatten zaubern. Spitzbogige
Oeffhungen führen vom oberen Flötz gegen
Norden und Süden auf einen Gang, zu dessen
beiden Seiten Einzelzimmer liegen und der an
den Enden an der Nord- und Südwand des
Spitals von einem Fenster erhellt wird — eine
Anlage, welche vollkommen dem Dormentgang
in mittelalterlichen Klöstern gleicht. Die Einzel-
zimmer öffnen sich, soweit sie an die Kirche
stofsen, in Fenstern nach dieser.

Die Unterscheidung von Gemeinstuben im
Erdgeschofs und von Einzelzimmern im Ober-
geschofs rührt sicher wie beim hl. Geistspital
in München davon her, dafs unten die Armen,
oben aber die Pfründner, welche sich einkauften,
untergebracht wurden. Nach dem Berichte der
Visitationskommission von 1558 bestanden da-
mals in der That „zwei unterschiedliche Pfrün-
den, die obere und die Armenpfründe oder Siech-
stube." In der oberen Pfründe safsen bei einem
Tisch 9 Personen, in der Armenstube 31.z*)
Jetzt wird dieser Unterschied nicht mehr gemacht.
Das zweite Obergeschofs des Spitals ist bau-
lich unbedeutend. Es enthält die Wohnung des
Spitalmefsners.

Das Aeufsere des Pfründhauses ist schlicht
und einfach. Das Erdgeschofs wird von
schwachen Strebepfeilern umgeben. Den ein-
zigen Schmuck bildet das grofse Portal an der
Westseite, das mit Kehlen und Rundstäben
profilirt ist und in geschweiftem Spitzbogen
schliefst. Ueber dem Spitzbogen steht zwischen
den kleinen Fenstern des oberen Flötzes in
einer Nische eine gute spätgothische Marien-
figur aus der Zeit um 1520. Und über dieser
schwebt die Taube des hl. Geistes. Maria ist
neben dem hl. Geist die Patronin des Spitals.
Ihr ist der Hochaltar geweiht.

Der Meister, welcher Kirche und Spital ent-
worfen und ausgeführt hat, ist unbekannt. Aber

24) Meindl a. a. O. S. 122.
 
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