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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Werke des mittelalterlichen Bronze-Gusses im Erfurter Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0096
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1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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noch zwei ähnliche Ampeln auf), eine Merk-
würdigkeit, indem es eine interessante, noch
sehr unvollkommene Periode derGiefsertechnik
vertritt. Vor allem ist die en face-Modellie-
rung der Köpfe kennzeichnend. Hierin er-
geben sich ganz überraschende Parallelen zur
Relieftechnik der archaisch-griechischen Kunst,
mit der auch weitere Verwandtschaften wie
z. B. zu grofse Köpfe mit starrem, glotzenden
Blick vorhanden sind. Aber das sind schliefs-
lich die Kinderkrankheiten einer jeden in der
Entwicklung begriffenen Plastik. Im übrigen
zeigen in der Herausmodellierung der Köpfe
die bekannten Bernwards-Türen am Dom
zu Hildesheim eine verwandte Erscheinung.
Jedoch herrscht dort bereits eine ungleich
freiere Technik und künstlerische Gestaltungs-
kraft. So ist dort z. B. die primitive Profil-
stellung der Körper so gut wie überwunden.
Auch die Bernwards-Säule zu Hildesheim
ist bei weitem, trotz ihrer archaischen Härten,
der Ampel zu Erfurt überlegen; doch sind die
Hildesheimer Werke wichtig insofern, als sie
eine Datierung der Ampel erleichtern. Diese
dürfte etwa dem Beginn des XI. Jahrh. ent-
stammen, aber sie steht den Werken der otto-
nisch- sächsischen Giefserkunst gegenüber als
technisch und künstlerisch minderwertig zu-
rück, ohne dadurch indefs an archäologischem
Wert zu verlieren.

Es erübrigt noch, den oberen Abschlufs
der Ampelbekrönung zu besprechen, der in
seiner Phantastik sehr eigenartige Schlüsse auf
den Geist der Zeit zu ziehen gestattet. Lebt
in dieser Willkür, in dieser Häufung der heraus-
ragenden Tierköpfe etwa ein Stück altger-
manischer Holz architektur, bezw. nor-
discher Firstbekrönung nach? Wie käme sonst
der Giefser auf das eigenartige Motiv ? Noch
heute hält man bekanntlich von Niedersachsen
bis in die skandinavischen Lande hinein an
den geschnitzten Köpfen der Firstbalken fest.
Hat man etwa die heute längst spurlos ver-
nichteten, den steinernen Kirchenbauten voran-
gegangenen Holzbauten mit solch barockem
Balkengespärr, in dem sich die ganze nordische
Phantastik austoben konnte, verziert? — Ich
glaube, dafs dies die einzige mögliche und un-
gezwungene Erklärung der Bekrönung bietet.
Der ganze Aufbau mit den übereinander ge-
stellten Arkaden ist ja ganz architektonisch
gedacht. Die Bogen ruhen auf dicht neben-

einander gestellten, oft in eins verschmelzenden
Doppelsäulchen mit gemeinsamer Basis und
Deckplatte. Dazu die Löwenköpfe in den
Arkadenzwickeln, gleichsam plastisch verzierte
Enden von Querbalken! Das alles mufs dem
Stück besondere Beachtung sichern. Gerade
weil wir so ganz geringe Andeutungen des
einstigen germanischen Holzbaues besitzen,
mufs jede nur mögliche Spur, die dessen Re-
konstruktion erleichtert, verfolgt werden. Die
Entstehung der Ampel fällt in die Zeit, da
in Thüringen-Sachsen die aus Holz errichteten
Gotteshäuserden steinernen Platz zu machen
begannen.

So gering der eigentliche Kunstwert der
Ampel sein mag, so barbarisch und primitiv
die Formengebung der Reliefs, so phantastisch
die Bekrönung ist, so bedeutungsvoll und
kennzeichnend ist sie für die tastenden An-
fänge deutscher Giefserkunst im allgemeinen.
Mit Sicherheit einen Entstehungsort festlegen
zu wollen, scheint von vornherein aussichtslos.
Nur das läfst sich sagen, dafs das Stück in
der Technik zu roh ist, um mit den Werken
ottonisch-sächsischer Kunst zwanglos in Be-
ziehung gebracht zu werden. Aber nicht aus-
geschlossen ist es, dafs es dort, wo es heute
noch aufbewahrt wird, d. h. in Erfurt selbst
entstanden ist. Dafür spricht vor allem die
primitive Formensprache, aus der im Gegen-
satz zu Hildesheim etc. der Mangel an guten
Vorbildern nur zu deutlich offenbar wird.

Eine Stufe gesteigerten Könnens, wenigstens
nach der rein technischen Seite hin, verkör-
pert die Leuchterfigur des sogen. Wolf-
ram, ein stattliches, etwa 6 Zentner schweres
Werk, aufgestellt im Chor des Domes und
noch heute dem Zweck dienend, dem es vor
vielen Jahrhunderten geweiht wurde, d. h.
Leuchterhalter zu sein (Abb. 2). Dafs der
Giefser die ihm durch die frommen Stifter
Wolfram und Hildburg aufgetragene Arbeit
in dieser Weise formulierte und eine mensch-
liche Gestalt als Lichtträger schuf, ist nur ein
Beweis für seinen Erfindungsreichtum und
seine Phantasie. Um eine „Büfserfigur" (»Bau-
und Kunstdenkmäler« Erfurt, S. 81) handelt es
sich aber keineswegs.

Dargestellt ist eine männliche Gestalt, die
mit zur Seite ausgestreckten, leicht gebogenen
Armen in den Händen Lichtbehälter trägt.
 
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