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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Werke des mittelalterlichen Bronze-Gusses im Erfurter Dom
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0095

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1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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mit stilisierten Schulterlocken, die andere mit
langem Haar oder Kopftuch. Letztere hebt
bittend die Hand empor. Dahinter ein Baum.
Die Deutung ist schwierig, denn eine andere
Fassung und Wiederholung des Sündenfalles
erwartet man nicht. — Daran reiht sich ähn-
lich den Reliefs in der obersten Lage, eine auf
einem Sessel sitzende, mit langer Feder schrei-
bende Gestalt, die eine kronenähnliche Kopf-
bedeckung trägt. — Zwei kurzgewandete, ge-
schürzte Personen stehen einander gegenüber,
wie Ringer sich mit den Armen gegenseitig
an den Schultern fassend. Ein Umarmen ist
sichtlich nicht gemeint, da die Füfse der Ge-
stalten von einander so weit entfernt sind, dafs
als Füllung des Zwischenraumes ein Dreiblatt
verwendet werden mufste. Eine Deutungs-
möglichkeit bietet I. Moses, Kap. 32, Vers 27:
Jakob ringt mit dem Engel. Ist letzterer in
der Tat in kurzem Gewand gebildet worden,
so wird man in dem oben erwähnten, aus
der dritten Zone stammenden Relief, mit
Rücksicht auf den Sündenfall die Bezeichnung
des Baumes der Erkenntnis im Paradies an-
nehmen dürfen. — Es folgt die einzige Scene,
auf der mit einiger Sicherheit sich ein Nimbus
über dem Haupt einer auf erhöhtem Stuhl
sitzenden Figur (Christus ?), die segnend oder
lehrend die Arme erhebt, feststellen läfst. Vor
ihr sitzt etwas tiefer eine ebenfalls langgewan-
dete Figur. Dahinter ein Baum (Bergpredigt?).
— Das letzte Relief bringt zwei Gestalten.
Eine sitzt auf einem Stuhl und trägt eine Krone
auf dem Haupt. In Händen hält sie einen
rechteckigen Gegenstand mit einigen Längs-
streifen (Tafeln, Buch ?). Gegenüber sitzt nie-
driger auf einem Stein eine Gestalt, die zu
dem fraglichen Gegenstand hinübergreift; um
diesen schlingt sich wie eine Ranke oder ein
Tuch ein eigenartiger Wulst, unter dem mög-
licherweise Wolken zu verstehen sind. Dann
hätte man die Übergabe der Gesetzestafeln
an Moses zu erkennen, und durch die voran-
gegangenen Scenen wäre eine Gegenüber-
stellung des Alten und Neuen Bundes beab-
sichtigt. Aber wie undeutlich die Darstellung
ist, geht auch daraus hervor, dafs Tettau (»Bau-
und Kunstdenkmäler der Prov. Sachsen« Er-
furt, S. 85) darin David als Psalmodist sieht,
wohl mit Unrecht.

Diese vielfachen Unklarheiten und Deutungs-
möglichkeiten beweisen nur, wie primitiv die

Technik und Darstellung ist, dem Stammeln
eines Kindes vergleichbar. Jedoch sind einzelne
Scenen sehr frisch aufgefafst und die Bewe-
gungen mit naivem Naturalismus angedeutet.
Dafs ein bestimmtes Programm dem ganzen
Aufbau zu Grunde liegt, kann man eigentlich
voraussetzen, denn die mittelalterliche Kunst,
soweit sie im Dienst der Kirche steht, will
stets belehren oder über Heilswahrheiten auf-
klären. Aber hier hat es den Anschein, als
ob der Giefser ziemlich willkürlich ihm ge-
läufige Darstellungen aneinandergereiht hat
ohne eigentlichen Grundgedanken und dafs
es mehr Zufall als Absicht ist, wenn sich doch
eine gewisse Einheit ergibt, ausgehend vom
Sündenfall. Als dessen Folgen stellen sich dar
Totschlag (Kain u. Abel) und Völlerei (Noah
u. Simson). Auf den Heilsweg weist die Scene
des mit dem Engel ringenden Jakob und die
vermutliche Übergabe der Gesetzestafeln an
Moses, schliefslich zur Vertretung des Neuen
Bundes die Taufscene und das Relief mit
dem lehrenden Christus. Dadurch würde sich
eine Einheit ergeben, aber dann bleibt immer
noch auffallend, warum ohne sichtlichen Grund
dieser innere Faden durch den Künstler zer-
rissen wurde.

Den unteren Abschlufs des Aufbaues bildet
ein Schlängelband mit seitlich nach oben und
unten vorstehenden Blättern; darunter zieht
sich ein noch an antike Formengebung an-
klingendes, aber sehr verrohtes Palmettenmotiv
hin. Dann erweitert sich der Aufbau durch
einen abstehenden Rand mit dem gleichen
Schlängelband wie oben verziert. Von dort aus
gehen die Ketten zu dem Lichtbehälter selbst.

Der Gufs ist sehr roh durchgeführt, aufser-
dem nachher durch Feilen, Punzen und grobes
Ziselieren überarbeitet. Das Ganze scheint
weniger von Innen nach Aufsen gerundet,
sondern von Aufsen nach Innen hineinge-
schlagen und gehämmert zu sein. Die Mo-
dellierung, abgesehen von den dicken Köpfen,
bewegt sich, obwohl im Relief, doch stets in
einer Ebene, als ob auf den Kegel aus Metall
ausgeschnittene Bilder aufgeheftet wären. Die
gröfsten Tiefen sind dagegen im Gufs ausge-
spart und bedingen Durchbrechungen des Cy-
linders; dessen Höhe beträgt 40 cm, der Durch-
messer der Ampel ca. 35 cm.

Das Stück repräsentiert, selbst wenn es
nicht so besonders selten wäre (Otte zählt nur
 
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