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Zeitschrift für christliche Kunst — 17.1904

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Cremer, Franz Gerhard: Zur Darstellung des Nackten in der bildenden Kunst und die Modellfrage, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4094#0078
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1904. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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und Vers 31 lautet: „Susanna aber war voll
der Anmut und schön von Gestalt". — Und
so erblicken wir .sie nicht nur als eine Zierde
dieser Räume, vielmehr wird dies Werk Pin-
turicchio's eine Zierde, ein Schmuck der Kunst
aller Zeiten bleiben. Mit Raphaels nie aus-
gelobter hl. Cäcilia darf diese in den Reigen
seliger Geister treten, mit denen uns Fiesole,
wie Michel Angelo einst sagte, einen Einblick
in den Himmel vermittelte.

Was aber haben die Künstler erst aus der
hl. Magdalena gemacht? Lassen wir eine ganze
Reihe dieser Bilder an uns vorüberziehen, dann
müssen wir uns gestehen, dafs die Dargestellte
keine Büfsende, sondern — wie sie da steht,
kniet oder gelagert liegt — eine Schamlose
genannt werden mufs!

Wer sich dabei das bekannte Bild der
Heiligen von Correggio (Dresdener Galerie) vor-
stellt, der wird sich unwillkürlich an jene Stelle
aus Goethe's Faust-Dichtung gemahnt finden:

„Sind Biifserinnen,
„Ein zartes Völkchen,

„In die Schwachheit hingerafft

„Sind sie schwer zu retten;

„Wer zerreifst aus eigner Kraft

„Der Gelüste Ketten?

„Wie entgleitet schnell der Fufs

„Schiefem, glattem Boden?

„Wen betört nicht Blick und Grufs?

„Schmeichelhafter Odem? (Faust, II. Teil.)

Doch täuschen wir uns nicht? Ruht dies
Wesen — Magdalena genannt — nicht etwa,
nur eine Büfserin, eine Fromme simulierend,
als Teufels-, Spuk- und Blendwerk in des be-
waldeten Felsschlundes Höhlenwohnung des
hl. Antonius? — Fast wären wir geneigt, sie
dafür zu halten, und der Ärmste hätte alle
Ursache, zu Gott in solcher Bedrängnis aufzu-
schreien, auf dafs er ihn in solcher Not nicht
verlasse. Denn was ist jener kindisch-phan-
tastische Höllenzauber der sogenannten Ver-
suchungen des hl. Antonius gegen dies be-
rückende Phantom, dem nichts fehlt, als die
diesem Wesen zukommenden spitzen Öhrchen
und die Krallenfüfse, um unter dem bestricken-
den Äufsern sofort den Moder bergenden
Sodomsapfel erkennen zu lassen. — Wie die
Dargestellte nun auch betrachtet werden mag,
gewifs ist, dafs Correggio selbst niemals im
Ernste geglaubt haben kann, uns damit eine
hl. Magdalena zu bieten, jene „Magna pecca-
trix" (Luk. VII, 38), die im Geleite mit-verklärter

Biifserinnen — bei Goethe (II. Teil Faust) —
fürbittend die Worte spricht:

„Bei der Liebe, die den Füfsen
„Deines gottverklärten Sohnes
„Tränen liefs zum Balsam fliefsen,
„Trotz des Pharisäer-Hohnes;
„Beim Gefäfse, das so reichlich
■ Tropfte Wohlgeruch hernieder;
„Bei den Locken, die so weichlich
„Trockneten die heiligen Glieder."

Wer bei solch entgegengesetzten Empfin-
dungen ernstlich vergleichend prüft, um über
die Gründe zu solcher Darstellung Aufschlufs
zu erhalten, der wird unzweifelhaft zu denselben
Schlüssen gelangen, die Joubert21) über die
moderne Erziehung ausspricht, welche in der
Vernachlässigung des inneren Geisteslebens
und der Unwissenheit in Hinsicht unserer
Pflichten gipfelt. Eine nur flüchtige Umschau
wird diesen Satz auch für die mit der Kunst
Correggio's dem Verfall beschleunigt entgegen-
gehende Periode als zutreffend erkennen lassen.

— Stellen wir zu diesem Zwecke einmal Cor-
reggio's hl. Magdalena neben Pinturicchio's
„Besuch des hl. Antonius bei Paulus Eremita".
Beide Meister sind vollberechtigt, mitsammen
in die Schranken zu treten. — Der Gründer
der „Parmesaner Schule", der unerreicht in seiner
Weise glänzt: sei es durch seinen genialen
Wurf oder die berückende Wirkung des nur
ihm in dieser Vollkommenheit angehörenden
mild-leuchtend unnachahmlichen Halblichts,
und Barnardino di Betti, ein Stolz der „Um-
brischen Schule", der die Idealität der Auf-
fassung in dem Figürlichen wie Landschaft-
lichen seiner Bilder mit Perugin und Raphael
teilt, jedoch in dem Streben nach wirklicher
Farbenpracht mit Erfolg seinen eignen Weg
nimmt, können, ungeachtet der Verschiedenheit
ihrer Ziele, dennoch um ihrer Bedeutung
willen wohl nebeneinander genannt werden. —
In Antonio Allegri da Correggio's Bilde er-
blicken wir die heilige Büfserin, wie schon be-
merktem Dunkel eines bewachsenen Felsgrundes

— in Lesung vertieft — langhingestreckt gelagert.
Ihre äufsere Erscheinung, dazu in dieser Um-
gebung, überrascht, und der Gedanke an ein un-
reines Trugbild liegt weit näher, als in der Hin-
gelagerten eine Genossin der nach strenger Bufse
verklärten Maria Ägyptiaca zu erkennen, die in
Goethes „Faust" die Worte spricht:

>.....

„Bei der vierzigjährigen Bufse,
21) Essays von F. X. Kraus, Bd. I, S. 58.
 
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