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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Raspe, Theodor: Ein Kelch von ungarischer Drahtschmelzarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0107
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1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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wie denn überhaupt einzelne kunstgewerbliche
Gebiete aller Epochen in nächste Beziehung
zur Architektur zu bringen sind und damit
dem modernen Bestreben der Baukünstler,
sich kunstgewerblich zu betätigen, natürliche
Berechtigung zuweisen. — Der sechspaßartige
Fuß wird anmu-
tig durch einen
durchbrochenen
Streifen erleich-
tert, indem sich
gotische Wellen-
ranken mit läng-
lichen, vornum-
gelegten Blät-
tern und mit

Akleiblumen
auf- und abbe-
wegen, während
kurze angelötete
Blattranken die
Zwickel füllen
und zur Ge-
schlossenheit
des Fußes bei-
tragen. Vordem
sechskantigen
Schaft stehen
kleine Ziersäu-
len, die ihn zu-
gleich verbrei-
tern und beleb-
ter gestalten.
In jedem der
Schaftplättchen
sitzt eine mit
Grubenschmelz
gefüllte Blume.
Die Stengel,
Wickelranken
und gezackten
Blätter sind in
durchscheinend
grünem Schmelz
ausgeführt, die

Blüten, deren Mittelgrube häufig eine opake
weiße Farbe füllt, in rotbraunem oder dunkel-
violettem. Die Blumen richten sich abwech-
selnd nach oben und unten, sodaß sich auch
hierin der gotische Wellenrhythmus durch-
bricht. Eigenartig im Vergleich zur Aus-
stattung der meisten Kelche wirken die Draht-
schmelzblüten an dem getriebenen Knauf,

ein Ersatz für die üblichen Rotuli. Eine
weitere, ebenso wirkungsvolle Abwechselung
wird dadurch geschaffen, daß auf der Ober-
und Unterseite des Knaufs neben dem durch-
brochenen Fenstermaßwerk eingelassene
Drahtschmelzfelder wiederkehren. Am meisten

nähert sich die
leicht tulpen-
artig geschweif-
te Form der
Kuppe dem
Renaissancege-
schmack. Ihre
dünne Wan-
dung erhält
durch die halb-
kugelige Fas-
sung, in der sie
ruht, den nö-
tigen Ausgleich
mit der Schwere
des Kelchunter-
teils, während
ein gegossener
Kranz aus
Distelblütenund
-blättern den
halbschweren
Übergang bil-
det. So offen-
bart sich im
Ganzen wie in
allen Einzel-
heiten der feine

künstlerische
Geschmack des
Goldschmieds,
dessen Arbeit
uns wieder ein-
mal warnt, dem
Mittelalter nicht
durch die Ver-
allgemeinerung
der Ansicht, es
sei in Kleinig-
keiten stecken geblieben, unrecht zu tun.

Seinen hervorragendsten Schmuck, der alle
Goldschmiedearbeit zurückdrängt, ohne jedoch
selber unvorteilhaft herauszufallen, erhält der
Kelch durch die zahlreichen Drahtschmelz-
platten auf dem Übergangsteil des Sockels,
auf dem Knauf und der Kuppe. Sie sind
sämtlich in einem und demselben flächenhaften
 
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