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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Raspe, Theodor: Ein Kelch von ungarischer Drahtschmelzarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0108

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155

1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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Charakter gehalten und wirken etwas seltsam
in ihrer Erscheinung. In goldbraunem oder
durchscheinend grünem Grunde liegen die
eigentümlich bewegten, symmetrisch angeord-
neten Drahtmuster, die als Zellen undurch-
sichtige rotbraune, weiße oder dunkelviolette
Füllung neben den eben genannten Farb-
schmelzen enthalten. Ihr Hauptmotiv bildet
eine gotisch stilisierte Phantasieblüte mit
Kolben, lilienähnlichem Aufsatz und reich an-
gewachsenem Blattwerk; nur auf dem Knauf
ist die Zeichnung zu einem Blatt mit anders-
farbiger Mitte vereinfacht. In der Wirkung
sprechen die gedrehten Drahtränder deutlich
mit, wozu nicht nur ihre reliefartige Kontur,
sondern auch ihr matter Silberglanz beiträgt.
Gewiß liegt auch im bescheidenen Zurück-
treten der Schmelzfarben auf den Knaufblüten,
die abwechselnd goldbraune und dunkelviolette
Blättchen besitzen, eine künstlerische Absicht
des Goldschmieds, der die Stärke des platt-
kugeligen Knaufes nicht noch durch Betonung
der äußersten Teile vergrößern wollte. Als
derbere Umgestaltung der gedrehten Konturen
möchte man die scharfgerillte, starke Draht-
umrandung der Felder ansprechen ; sie ist zu-
gleich ein Beispiel dafür, wie sehr der Gesamt-
charakter des Kelches durch die Zellenschmelz-
platten bestimmt und folgerichtig einheitlich
durchgeführt wird.

In der farbigen Zusammenstellung der
Schmelze fällt uns der scharfe Gegensatz des
opaken grellen Weiß zu den anderen trüberen
Feldern auf; nur das schöne Grün, das seine
Leuchtkraft durch den hindurchschimmernden
Silberboden empfängt, liefert einen erwünschten
Mittelton. Die Farbenpalette, in der ein reines
Rot und Blau, also zwei der wichtigsten
mittelalterlichen Farben fehlen, verrät mit
seiner Neigung, einen ernsteren Zusammen-
klang zu geben, die spätere Zeit. Ein gold-
gelbes Braun, ein kräftiges Kastanienrot und
ein tiefdunkles Violett spielen eine entschei-
dende Rolle. Indessen gehören sämtliche
Farben durchaus noch der Entstehungszeit des
Kelches an. Die Annahme, es möchten die
älteren Schmelzfarben abgeblättert sein3) und
die jetzigen eine spätere Füllung vorstellen,
ist nicht aufrecht zu halten. Nirgends läßt die
Technik diese Veränderung durchblicken,
ferner kehren alle Farben mit Ausnahme des

') ^"g!- J- Brinckmann, a. a. O, Seite 39.

Gelbbrauns in den kleinen Grubenschmelz-
blumen des Kelchstammes wieder, über deren
Ursprünglichkeit kein Zweifel bestehen kann.
Wir dürfen also die farbige Zusammenstellung
als ein richtiges und eigenartiges Beispiel für
den damaligen, zur Renaissance gewandten
Zeitgeschmack genießen.

Man hat bei der Suche nach einem Ver-
gleich mit den ungarischen Drahtschmelz-
arbeiten an Goldstickereien gedacht. So über-
nimmt Luthmer die Ansicht des bedeutend-
sten Forschers auf dem Gebiete des Draht-
schmelzes, Hampel,4) wenn er schreibt:5)
„Nicht unpassend findet Hampel für die stili-
stische Wirkung dieser ungarischen Draht-
emaillen das Vorbild in den mit farbiger Seide
durchsetzten Goldstickereien, an welcher die
mittelalterlichen Kirchenschätze Ungarns noch
reich sind. Auch die — beiden Techniken
eigentümlichen — Muster verraten eine offen-
bare Verwandtschaft. Es sind fast ausschließ-
lich Blumenornamente mit rankenartigen, aus
zwei bis drei nebeneinander laufenden Drähten
gebildeten Stielen." Auch diese Ansicht ist
nicht zutreffend, so gut an und für sich der
Vergleich gewählt ist. Mag es zur bequemeren
Vorstellung vom Aussehen ungarischer Draht-
schmelzwerke angemessen sein, Goldstickereien
zu erwähnen, so kann doch von ihrer vor-
bildlichen Wirksamkeit nicht die Rede sein.
Dagegen spricht die keineswegs originelle Art
dieser ungarischen Spezialität.

Wir kennen heute den Weg, den das
Drahtschmelz verfahren genommen hat; er ist
oben angedeutet. Aber nicht einmal das
eigenartig erscheinende Ornament geht in
seinem Ursprung auf Ungarn zurück, weil es
sich genau so an spätgotischem, italienischem
Silbergerät findet, z. B. am Ostensorium des
Niccolö Galucci in S. Lucio Atessa, am Altar
in Teramo und an sienesischen Werken wie
an einem Reliquiar von Francesco d' Antonio
in der Kirche der Osservanza bei Siena6). So
bleibt die Ähnlichkeit mit den Goldstickereien
nur eine allgemeine, dem Zeitgeschmack ent-
sprungene.

Einen wichtigen Anhalt, wann der Draht-
schmelz in Ungarn eingeführt worden ist, gibt

*) »Das mittelalterliche Drahtemaili (Budapest 1 888).

•) F. Luthmer, »Das Email«, (Leipzig 1892),
Seite 112.

•) G. Lehnen, »IllustrierteGeschichic des Kunst-
gewerbes« (Berlin), Band I, Seite 380.
 
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