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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Raspe, Theodor: Eine gotische Truhenplatte mit christlichen Sinnbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0137

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1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

198

Eine gotische Truhenplatte mit christlichen Sinnbildern.

(Mit Abbildung.)

s|ie Möbel und Möbelteile aus den
Perioden vor 1400 sind selten genug,
um vollzählig in den Zeitschriften
veröffentlicht zu werden. Es ist
indessen schwer, stets ihre Bestimmung für
kirchliche oder weltliche Zwecke festzustellen,
da wir uns nicht durch den Inhalt ihrer
Schnitzereien täuschen lassen, ja nicht einmal
den Aufstellungsort als ausschlaggebend an-
sehen dürfen. Häufig sind kirchliche Möbel
später bei Erneuerung des Mobiliars in Bürger-
häuser gewandert, dort oft verstümmelt worden
und schließlich aus dem Zustande bedauer-
licher Erniedrigung in Museen oder Samm-
lungen gerettet. Andererseits kommt es vor,
daß ein Privatmann etwa einen für seinen Ge-
brauch bestimmten Schrank einer Kirche ver-
macht, so daß auch in solchen Fällen der
anfängliche Zweck des Möbels vergessen wird.
Der Schmuck ist noch weniger maßgebend.
Wie das gotische Rankenornament oder Maß-
werk zugleich kirchliche und weltliche Möbel
verziert, so waren auch christliche Sinnbilder
und biblische Darstellungen in beiden Fällen
gleich beliebt und blieben es bis in die Zeit
der Spätrenaissance und des Barocks.

Die ursprüngliche Bestimmung einer Truhe,
deren noch erhaltene Vorderplatte im Ham-
burgischen Museum für Kunst und Gewerbe
aufbewahrt wird, müssen wir nach dem Ge-
sagten ganz unentschieden lassen, so sehr wir
auch durch die Symbole der Evangelisten und
christlicher Eigenschaften verleitet werden, den
früheren Platz des Möbels etwa in einer
Sakristei anzunehmen.

Die 187 cm lange, 75 cm hohe Truhen-
platte ist wahrscheinlich eine nordwestdeutsche
Arbeit; sie stammt angeblich aus Delmenhorst
bei Bremen. Im,,Führer" durch das Museumx)
wird das Stück mit folgenden Worten be-
schrieben : „Vorderplatte aus Eichenholz, welche
wohl dem Anfang des XIV. Jahrh. zuzuweisen
ist, obwohl die schmalen aufsteigenden Ranken
an den Seiten noch ausgesprochen romanische
Blattformen zeigen. Zwischen diesen Ranken
ist die Fläche in zwanzig Rundfelder geteilt,
von denen die vier Eckfelder die Sinnbilder

l) J. Brinckmann, »Führer durch das Ham-
burgische Museum für Kunst und Gewerbe«. (Ham-
burg 1894,) S. 635.

der Evangelisten, sechzehn Felder wilde und
fabelhafte Tiere (Löwe, Panther, Steinbock,
Hirsch, Antilope, Einhorn, Greif, Sirene usw.)
enthalten."

Aus der Rückseite der Platte ergibt sich
dieKonstruktion der Truhe, und zwar so voll-
ständig, daß wir das ganze Möbel wenigstens
in seiner Form wiederherstellen könnten. Es
war in der bis ins XVI. Jahrh. hinein beliebten
lediglich konstruktiven Technik ausgeführt,
die ganz unverhüllt die kräftige, großzügige
Verbandart der mittelalterlichen Tischlerwerk-
stätten zeigt2). Zur Erleichterung der Schnitze-
rei, der man vor Feldergliederung und Profi-
lierungen ein e Vorzugsstellung einräumen wollte,
sind drei dicke, wagerechte Bretter zu einer
Vorderfläche vereinigt; an Stelle des später
üblichen Leimes benutzte man hierbei zum
Zusammenschluß Holzdübel. Diese Platte ist
dann wiederum zwischen senkrecht gestellte
Bretter eingefügt, die sich nach unten hin
fortsetzen und zugleich die Füße bilden. Wäh-
rend gewöhnlich nur ein Brett diesen Doppel-
zweck erfüllt, sind bei unserer verhältnismäßig
langen Truhenplatte zwei Bretter zusammen-
gespundet, so daß die ganze Vorderwand
siebenteilig ist. Die Füße sind später abgesägt.
Entsprechend war die Rückwand gebildet. Wie
die breite Rinne in den äußeren senkrechten
Brettern andeutet, geschah die Vereinigung
von Lang- und Schmalseiten durch „Feder"
und „Nut", wobei vier — noch erhaltene —
seitlich eingeflöckte Holznägel den nötigen
Halt gaben. Die Seitenbretter waren, wie all-
gemein üblich, durch Quer- und Längsbohlen
verstärkt. Ebenso hatte der Boden solche
Lattenverstärkung, was sich aus Einschnitten
im unteren Rande der Vorderplatte ergibt.
Der Deckel muß schmale Wangenleisten be-
sessen haben; denn nur darauf deuten die
kleinen Eckausschnitte der Truhenplatte. So-
gar das Vorhandensein von Beiladen im Innern
der Truhe verrät die Vorderwand durch zwei
Schmalrinnen.

Unsere Truhenplatte besitzt vor anderen
den Vorzug, daß sie uns einen Einblick in die
Technik der mittelalterlichen Schnitzarbeit ge-
stattet; die beiden oberen Eckfelder sind näm-
lich unvollendet geblieben und lassen dadurch

2) Vgl. Brinckmann a.a.O. Abbildung S. G35,
 
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