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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Narten, G. H.: Silberner Zeremonienstab von 1458, aus dem Dom zu Lübeck
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0145

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213

1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

214

Silberner Zeremonienstab von 1458, aus dem Dom zu Lübeck.

(Mit Abbildungen, s. folg. Seite.)

m Schlosse zu Eutin befindet
sich, als Eigentum des Groß-
herzogs von Odenburg, der
hier in 5 Teilen abgebildete
Zeremonienstab, der, seiner
Inschrift gemäß, aus dem
Jahre 1458 und aus dem Dom zu Lübeck stammt.
Bei der ganz ungewöhnlichen Länge von 145 cm
hat er ein Gewicht von 1190 Gramm; seine
Gliederung wird durch 5 ringförmige Profile
bewirkt, die Kreuzblumenbekrönung mit der
Standfigur des hl. Johannes Baptist mißt 121/2 cm,
der untere griffartige Abschluß 14V2 cm- —
Die in Form von gravierten Spruchbändern
aufsteigende, sehr stark abbrevierte Minuskel-
inschrift lautet: Post mille bis bina cenlum
quinqitaginta iniunclis octo instiluitur quod —
in virginis festo originis upremae memoria esto —
Lubicensi solventecapitulo tunc residente. — Hier-
aus ergibt sich, daß dieser Stab dem Dom-
kapitel zu Lübeck angehörte, dessen Patron
der hl. Johannes Baptist war; seine Standfigur
bildet deswegen die Spitze, und zu seinen
Füßen ist das Kreuzschild als Stiftswappen an-
gebracht. Weitere Angaben über Ursprung,
Bestimmung usw. enthält weder dieser Stab
noch irgendwelches auf denselben bezügliches
Urkundenmaterial, so daß für seine sonstige
Deutung nur durch Kombination etwas ermittelt
werden kann, im Anschlüsse an eine kurze
Beschreibung.

Der trotz seiner Länge zierliche „Stab"
besteht aus 6 nur 1 cm starken glatten
Silberröhrchen, welche durch eine im Fußknauf
und in der Spitze verschraubte Eisenstange
fest zusammengehalten werden. Mit besonderer
Geschicklichkeit ist der sechseckige, in eine
flache Kugel endende, in der Mitte an-
schwellende und durch einen Ring zusammen-
gefaßte Griff behandelt, dessen 6 Flächen
unten wie oben mit getriebenen Stengelblättchen
verziert sind, zwischen denen auf 3 Seiten die
oben verzeichnete Inschrift sich entfaltet auf
eleganten, geschwungenen, mit eingravierten
Rankenstückchen verzierten Spruchbändern.
Diesem mit vollendetem Geschmack und
höchster technischer Bravour behandelten Grift
entspricht die Bekrönung, die in der gegossenen
doppelten Kreuzblume mit ihrer Figur besteht.
Um diese Blume desto wirkungsvoller zu ge-
stalten, sind ihre dünnwandigen Blätter sehr

stark bossiert, so daß sie als kräftige Knollen
stark markierte breite Schilfblätter aufzunehmen
vermögen und durch ihre zackigen Umrisse
einen so lebendigen wie leichten Eindruck
machen, den Goldschmied als einen sehr ge-
übten Handwerker kennzeichnend, der das
Material, innerhalb seines Rahmens und seiner
Stilgesetze, vollkommen beherrschte. Nicht mit
derselben, immerhin aber noch mit achtungs-
werter Bravour verstand er sich auf das
figürliche Modellieren und Gießen, denn die
St. Johannesfigur ist etwas kurz geraten im
Verhältnis zu dem schlanken Schaft und etwas
derb gegenüber den fein abgewogenen Gliede-
rungen desselben. Die Ausladungen der
Statuette, wie sie durch das Lamm auf dem
Buch in der Linken, durch die Rechte für
das Halten des Heroldstabes, auch durch den
malerisch herabfallenden Gewandzipfel geboten
sind, verraten aber doch eine geübte Hand.
Auch durch die fein abgewogene Verteilung
von Silber und Gold hat er sich als ein
tüchtiger Meister bewährt; daß er in Lübeck
ansässig war, darf wohl angenommen werden.

Hinsichtlich der Bestimmung des Stabes
legt die Inschrift durch ihren Hinweis auf
das Geburtsfest Mariens die Vermutung nahe,
daß er einer Muttergottesstatue als Szepter
gedient habe. Hiergegen sprechen aber doch
erhebliche Bedenken, in erster Linie die enorme
Länge, die eine Riesenfigur erfordert haben
würde. — Nach der Analogie mit ähnlichen
Stäben des spätem Mittelalters, wie sie sich
in einzelnen Schätzen, (so der Mariä-Himmel-
fahrts-Kirche zu Köln), und im Gebrauche
von Universitäten (so in Prag, Heidelberg,
Greifswalde) zum Teil von deren Gründung
im XV. Jahrh., erhalten haben, kann es sich
wohl nur um einen Zeremonienstab handeln.
In der Mitte angefaßt, zur Schulter geneigt,
gab ein solcher Stab seinem Träger ein
feierliches Gepräge. Durch dessen Aufstoßen
bei besonderen Anlässen ergaben sich für den
unteren Knauf leicht Verbeulungen. Solche
finden sich auch, als einzige Defekte, an dem
vorliegenden, sonst vortrefflich erhaltenen
Stabe, und bekräftigen daher die Vermutung,
daß er als Gebrauchsgegenstand bei feierlichen
Umzügen im Lübecker Dom und dessen Um-
gebung seine Verwendung gefunden hat.

Oldenburg. G. H. Narten.
 
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