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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Moeller, Ernst von: Linea Justitiae
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0024

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19

1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

20

Linea

flon Kaiser Heinrich III. erzählt sein
Erzieher, der Chronist und Kaplan
Wipo, daß ihm die Einsichtigen
fast durchweg den Ehrennamen
„Linea Justitiae" gegeben hätten.1) Ohne
Zweifel soll damit die Gerechtigkeitsliebe des
Kaisers gerühmt werden. Aber über den
Sinn des Wortes „linea" sind die Meinungen
der neueren Historiker geteilt. Die einen,
so Wirth2) und Hauck3), übersetzen scheinbar
wortgetreu „Linie", die andern, z. B. Watten-
bach4) und Giesebrecht,5) dagegen „Richt-
schnur der Gerechtigkeit". Steindorff6) stellt
beide Auffassungen zur Wahl. Die Verschieden-
heit ist erheblich. Das eine Mal liegt die
Vorstellung der Linie, die der Gerechte inne-
hält, des schmalen Weges, den er geht, zu-
grunde. Das andere Mal wird auf das all-
bekannte Werkzeug Bezug genommen, das
Zimmerleute und Maurer seit alter Zeit bis
auf den heutigen Tag benutzen.

Die richtige von den beiden Erklärungen
ist die zweite: Richtschnur der Gerechtigkeit.
Denn der Ausdruck „Linea Justitiae" geht
zurück auf die Worte des Propheten Jesajas
(28, 17): „Und ich mache Recht zur Richt-
schnur und Gerechtigkeit zur Setzwage".7)
Die Richtschnur nicht bloß auf das Recht,
sondern auch auf die Gerechtigkeit zu be-
ziehen, lag um so näher, da die Setzwage8)
häufig eine Richtschnur hat. Wer den Text
der Vulgata für das XI. Jahrh. als allein
maßgebend betrachtet, findet hier allerdings
Richtschnur ungenau mit „pondus" wieder-
gegeben.9) Aber auch so ergibt der Zusammen-
hang zwingend, was für ein Gewicht gemeint
ist. In dem vorausgehenden Verse nämlich läßt
der Prophet den Herrn wie einen Baumeister
sprechen: „Siehe, ich lege in Zion einen Grund-

') Gesta Chuonradi II. Prologus.

2) Geschichte der Deutschen. II1 1853. p. 75.

3) Kirchengeschichte Deutschlands III 3,M 906. p. 572.

4) Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter
II6 1894. p. 13.

J) Geschichte der deutschen Kaiserzeit II6 1885.
p. 450.

s) Jahrbücherdesdeutschen Reichsunt^rHeinrich III.
II. 1881. p. 364.

7) Übersetzt und erklärt von Duhm. 1892. p. 176.

8) Lüger, »Lex. d. ges. Technik« II 2. 1905. p. 72.

9) Stier und Theile, Polyglotten-Bibel , II, 2 \
1893. p. 99.

Justitiae.

stein, einen bewährten Stein, einen köst-
lichen Eckstein, der wohl gegründet ist."
Vollends ist sprachlich gegen die Gleich-
setzung von „linea" und Richtschnur nichts
einzuwenden. Denn „linea" bedeutet erst im
übertragenen Sinne Linie, von Haus aus
vielmehr den leinenen Faden, die Schnur
und so auch, schon bei den Klassikern, die
Richtschnur.10)

Das Wort des Jesajas erklärt aber nicht
bloß den Beinamen Kaiser Heinrichs III.,
sondern es hat außerdem der bildenden Kunst
des Mittelalters den Anlaß gegeben, die Ge-
rechtigkeit zuweilen mit den Werkzeugen des
Baumeisters in der Hand darzustellen.

Im Kunstgewerbe-Museum zu Berlin be-
findet sich ein Kruzifix mit der offiziellen
Beschreibung: „Bronze vergoldet, am Fuß die
Tugenden,graviertmit Grubenschmelz. Sachsen
(Hildesheim?), um 1160" Vorn sieht man
die Caritas, es folgen die vier Kardinaltugenden:
Fortidudo, Temperantia, Justitia und Prudentia.
Die Justitia hält die rechte Hand flach er-
hoben. Der Heiligenschein ist ihr mit den
andern Tugenden gemeinsam. Ihr einziges
Attribut ist ein in der linken Hand gehaltener
Gegenstand von der Form eines senkrecht
halbierten lateinischen T. Die zugehörige
Inschrift lautet: IVSTICIA PESAT RES
EQE DAT CVENIETIA CVIQ. = Justicia
pensat res aeque, dat convenientia cuique,
wobei die Worte hinter „Justicia" offenbar
einen Hexameter imitieren wollen. Zwischen
den fünf Kreisen mit den Tugenden finden
sich am unteren Rand des Kruzifixfußes noch
fünf andere Brustbilder weiblicher Gestalten
mit Inschriften, welche jedoch, wenigstens
hinter Glas und Rahmen, nicht zu entziffern
waren. Das Attribut der Justitia stellt ein
Winkelmaß oder eine primitive Setzwage dar.
Zum Vergleich ist auf das Attribut des
Apostels Thomas und auf die Setzwage zu
verweisen, die eine Porträtfigur vom Epitaph
eines Baumeisters im Kölner Dom aus dem
XV. Jahrh. in der Hand hält.11)

Eine illustrierte Handschrift von Aristoteles'
nikomachischer Ethik in der Wiener Hof-

">) Forcellini, »Lex.« III. 1865. p. 769.
") GipsabguU im Kaiser - Friedrich - Museum vom
Original im Diözesanmuseum zu Köln.
 
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