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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Witte, Fritz: Eine Reliefgruppe des Jan Bormans
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0133
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Abhandlungen.

Eine Reliefgruppe des Jan Bormans.

(Mit Tafel IX und Abbildung.)

S59n der Sammlung des Frei-
herrn Albert von Oppen-
heim befindet sich ein vor
ifi?^ *$M ftäCMSI kurzer Zeit in Frankreich
r^peSS iälw S erworbenes Reliefgrüpp-
js;gj chen der Heimsuchung
Mariens, das schon ob
seiner Qualität Beachtung verdient. Bedeut-
samer aber wird es da-
durch, daß ich es einem
der bedeutendsten Bild-
schnitzer von der Grenz-
scheide zwischen Gotik
und Renaissance zuzu-
schreiben vermag, demjan
Bormans von Brüssel. Das
reizende, wohlerhaltene
Grüppchen in der alten
Fassung ist ikonographisch
ganz eigenartig und für
die Brabanter Schnitzer-
schule typisch. Trotz der
verhältnismäßig geringen
Größe offenbart es einen
ungewöhnlich starken Na-
turalismus, sagen wir besser
eine scharfe Beobach-
tungsgabe des Künstlers.
In schroffem Gegensatz
stehen die zwei Figür-
chen zueinander: Die fast
mädchenhaft jugendliche Maria in gerader
Haltung, die reichen Stoffmassen des weiten
Untergewandes und des bordürenbesetzten
Mantels mit der Rechten leicht aufraffend.
Das lange von einem Reifen gehaltene Haar
fällt in Strähnen über Nacken und Schultern.
In ihrer Stellung wie im Ausdruck des fein-
geschnittenen Gesichtes liegt etwas Verhaltenes,
würdevoll Ablehnendes. Ganz anders die
Matrone Elisabeth; sie beherrscht sich weniger
und stellt sich ganz und gar unter den Ein-
druck des bedeutsamen Augenblicks, wo ,,die
Mutter ihres Herin zu ihr kommt". Wie
eine demütige Dienerin beugt sie den ha
Körper und streckt mit unverhaltener Scheu
ihre Arme aus nach der Gottesmutter; tiefste
Verehrung und himmlische Freude erstrahlt

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aus ihren weit geöffneten, innig emporblickenden
Augen. Das Ereignis der Begegnung nimmt
sie so sehr in Anspruch, daß sie ihres Mantels
vergißt, der ihr in eilendem Lauf bis auf die
Hüften herabgesunken ist. Ikonographisch
seltsam ist es, daß Elisabeth in äußerst
dezenter Weise wie kosend ihre Linke auf
den fruchtbaren Leib der Gottesmutter legt,
als wolle sie ihn, den „Tempel Gottes", kosen
und streicheln. Prächtig ist das heraus-
gearbeitet, wie heilige,
jungfräuliche Scheu die
Jungfrau fast abwehrend
gegen solche Ehrung sich
verhalten läßt. Daß der
Künstler diesen Gegensatz
wollte, das zeigt er be-
sonders durch die ver-
schiedenartige Behandlung
desKostümes: Maria trägt
das traditionelle und zu-
gleich ideale Gewand, das
lange Unterkleid und den
Mantel; der Stirnreif auf
dem wallenden Haar kenn-
zeichnet sie als Jungfrau
wie Königin. Elisabeth
aber hat der Künstler ganz
und gar in das bizarre,
barocke Zeitkostüm aus
dem beginnenden XVI.
Jahrh. gesteckt, wie es
gerade die Brabanter und
die mit ihnen verwandten Schulen zu benutzen
beliebten. Das Leibchen schließt eng an, die
Ärmel sind keulenartig zur Hand hin er-
weitert, den Kopf deckt die weiße Matronen-
haube mit Brustlatz, und darüber liegt eine
Art Zipfelmütze, die rückwärtig in langer
Spitze niederhängt und in breiten Ohren-
klappen mit Quastenenden über die Schultern
sich legt. Ein weiter Gürtel wird durch eine
rosettenförmige Spange gehalten, von der eine
metallene Kette bis zum Boden niederhängt,
die wohl als Taschen- oder Schlüsselbundträger
zu denken ist.

Die kleine Heimsuchungsgruppe ist nicht
so ganz allein, aus ihrem ursprünglichen Zu-
sammenhange eines größeren Flügelaltares
herausgerissen, zu beurteilen; sie bildete
 
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