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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Schmarsow, August: Altenburger Galeriestudien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0152
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263

1911.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

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gestattet. Der feste Punkt, wo das Knie auf
dem Boden aufruht, war jedoch genau ange-
geben ; der Stoff des Kleides ist straff ge-
zogen, das erhobene Knie und der aufgestützte
Fuß des vorgeschobenen linken Beines daneben
sind klar betont und lassen über den kon-
struktiven Sinn des Meisters keinen Zweifel.
Vom Rande des Oberschenkels ziehen sich
Bogenfalten über die gespannte Fläche des
Kleides zum Gürtel hinauf und gliedern sie
nach gotischem Stilgesetz; vom Knie fallen
scharfe Kanten abwärts und stoßen auf den
Boden. Die beiden Arme, in schlichten vorn
verengerten Ärmeln, sind über der Brust ge-
kreuzt, und schieben die Einbogen etwas vor.
Diese Gebärde hingebender Devotion des
Dieners ist die Hauptsache, und nur zufällig
hält die rechte Hand auf dem Arm auf-
liegend noch das Ende des Schriftblattes mit
dem Inhalt seines Auftrages. Nur das aus-
flatternde Papier, das sich zu gotischem
Schnörkel kräuselt, läßt uns die Legende
sehen; aber es ist nicht die Absicht des
Boten, der Auserwählten selbst die Bandrolle
vorzuzeigen oder gar hinzuhalten, damit sie
selber die Worte lesen möge. Dies muß hervor-
gehoben werden; denn danach erscheint der
goldene Zweig, der den fest aufruhenden Fingern
der linken Hand entsteigt, ohne von ihnen ge-
halten zu werden, als nachträgliche Zutat —
mag dies Attribut auch bereits auf Wunsch des
Bestellers (oder Herstellers) beigegeben sein,
der den Lilienstengel nicht entbehren mochte.
Der Maler hat ihn nicht mitgedacht, sondern
stellt seinen Angelus Dei mit verschränkten
Armen dar, wie er soeben ein Knie beugt und
sein Antlitz voll Ehrfurcht vor der Erkorenen
neigt. Selbst die Augen erheben sich nicht,
ihr selbst ins Antlitz zu schauen; aber die
Lippen sind geöffnet und sprechen, wie der
Herr ihm befohlen hat. Darin liegt eben die
streng hieratische Auffassung, an die sich der
Maler gebunden hält; in der Gesamtform
liecrt aber zugleich der künstlerische Wille, der
ihn von anderen Zeitgenossen unterscheidet.
Er will entschieden die plastisch ausge-
prägte Haltung, die er noch mehr mit Hilfe
der Gliederpuppe aufbaut als nach den voll-
gerundeten Formen eines lebenden Modells
konterfeit. Zu diesem tektonisch klaren Aufbau
der menschlichen Körperteile gehört aber not-
wendig das Flügelpaar auf dem Rücken,
dessen Gesamtumriß und innere Gliederung

sich so als ursprünglich ausweist. Wenn die
gesonderte Zeichnung der großen Schwung-
federn unten und der kleinen Decklagen
darüber nicht mehr so scharf hervortritt, so
liegt das an der Überschmierung mit blauer
Farbe. Bei scharfem Seitenlicht (wie auf
unserer Photographie) sind die Reihen
sichtbar wie der geschwungene Wuchs des
Fittigs. Völlig methodisch erkennen wir sein
Teilungsverfahren in der Behandlung des
Haupthaares. Dessen vordere Lage ist leicht
aufgerollt und hinter das Ohr zurückgenommen.
Bei der welligen Zusammendrehung der
Strähne zeigt sich jedoch eine Reihe dunkler
Intervalle, die zwischen die hellen Spiralwin-
dungen einschneiden, und so liegt die pla-
stische Form mit ihren gebogenen Einker-
bungen als Rahmen um das Gesicht wie bei
Marmorarbeiten, so daß man meinen könnte,
der Maler habe sich ganz nach damaligen
Skulpturen gerichtet. Wir kennen diese Ge-
wohnheit, regelmäßigen Wechsel von Schatten
und Licht zu erzeugen, von Giovanni Pisano
her bis Andrea Orcagna, ja noch bis ans
Ende des Trecento in Toskana, aus zahl-
reichen Engel-, Apostel- und Prophetenköpfen.
Man möchte sich anheischig machen, nicht
allein am Madonnen-Tabernakel von Orsan-
micchele, sondern noch in Fragmenten der
alten Domfassade, im Bargello oder Museo
dell' Opera das Vorbild zu suchen, dem dieser
Gabriel am nächsten kommt. Ich denke dabei
an die Johannes-Statue des Tedesco, die einst
statt des bronzenen Evangelisten in der Eck-
nische stand und sich jetzt im Museo Nazio-
nale befindet, wie an verwandte Bruchstücke
von derselben Hand, und damit an den
Anfang des XV. Jahrh. in der Arnostadt. An
den Engeltypus dieser Zeit schließt sich auch
das Antlitz unseres Gabriel an. Zur Größe
seines Kopfes wirkt dann aber ergänzend der
breite Rand des Heiligenscheines mit, dessen
Musterung mit Punktreihen und Sternblumen
uns wieder auf die Nachbarschaft des Ma-
saccio und Don Lorenzo Monaco weist.

Sowie wir diese beiden Malernamen zu-
sammen nennen, erhebt sich jedoch für den
Kenner ihres persönlichen Wesens die Frage
nach dem Entweder — Oder: wir müssen
zwischen ihnen wählen, sowie es die Gesamt-
erscheinung des Engels als Ganzes gilt. In
Anbetracht des teklonischen Aufbaues und der
raumerfüllenden Körperlichkeit der knieenden
 
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