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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Die Erziehung des Klerus zur Kunst: Ein Betrag zum Probleme "katholischer Kulturwille"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0029
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Nr. 2____________ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST._____________19

usw., alle diese Autoritäten und Volksführer legen die neue beliebte Ware sich ein,
nehmen die Kunst und ihre Pflege in ihr Programm auf. Und der Klerus? Mit
dem einen oder anderen Vortrag über künstlerischen Wandschmuck, wie sie vor
dem Kriege beliebt waren, leider aber in gar zu mechanisierter Aufmachung, ist
nicht viel getan. Das Einfühlen in die jungen Strömungen ist gleichbedeutend
mit immer neuer Problemstellung, mit intensivster Erfassung der Aufgaben,
Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Kunstzweige. Was wird geschehen,
wenn über einige Jahre breiteste Schichten unseres Volkes diese Einfühlung in
neuzeitliche Kunst vollzogen, diese als ihre, als die Zeitkunst zu ihrem geistigen
Eigentume gemacht haben ? Will auch dann der Geistliche noch zeit- und welt-
fremd in der Kirche das als Kunst zur Schau stellen, was man heute in De-
votionalienhandlungen vorgesetzt bekommt? Dann wird ihn der Mann aus dem
Volke ungläubig und mitleidig anlächeln ob des Fabrikschundes, den er ja längst
aus seiner Wohnung verbannt und auf den Müllwagen geworfen hat. Geistliche I
Reißet die Augen auf und sehet, mit welch verwerfenden Blicken unsere unsäg-
lich kranken und häßlichen, unser und unserer Zeit unwürdigen gipsernen Hei-
ligenfiguren in den Schaufenstern angeschaut und belächelt werden. Das Volk,
ja, das Volk hat zum großen Teile bereits sich abgekehrt von diesem Schund,
der unserer Kirchen unwürdig ist. Wollt ihr zugeben, daß diese sogenannte
religiöse Kunst zum Maßstab gemacht wird, um den kulturfreundlichen oder
-feindlichen Stand der Kirche zu bemessen?

Leider fand der billige Kram auch Eingang in die Kirchen. Nicht nur das.
Wir haben den Nichtkönnern, den geschäftsmäßig arbeitenden Unternehmern,
euphemistisch vielfach „Kunstwerkstätten" genannt, die Kirchentüren weit
geöffnet, den Künstlern aber den Eintritt verwehrt. Man fasse sich doch einmal
an die Stirn und frage sich: Wer hat dem Geistlichen und dem gläubigen Volke
etwas in den Kunstwerken zu sagen, wer findet den Weg in Menschenseelen,
der Fabrikant, auf dessen Ateliers Massenproduktion getrieben wird, oder der
Künstler, der mit sich und seiner Aufgabe ringt, der einzig von dem Bedürfnis
getragen und geleitet wird, Selbterlebtes und tief Gefühltes weiterzugeben an
Menschenseelen? Wenn alle Geistlichen öfter Gelegenheit haben könnten, in
der Werkstatt unsere ehrlichen und tüchtigen Künstler arbeiten zu sehen, uns
wäre geholfen, der Schund läge allzumal vor den Kirchtüren. Videant consules!

Bedarf es an dieser Stelle einer Versicherung, daß einzig die Liebe zur echten
christlichen Kunst, das Interesse für das Ansehen der Kirche und des Klerus
harte herbe Mahnworte findet? Sie zu sagen wäre sinnlos und zwecklos, wüßten
wir nicht, daß sie nirgend anderswo auf fruchtbareren Boden fielen als bei der
Geistlichkeit? Sie ist vorsichtig, soll es sein; sie zaudert und zögert; sie wägt
ab und wartet. So sie aber erkennt, daß irgendwo ein neues Arbeitsfeld sich
auftut, eine Perspektive des Helfenkönnens sich öffnet, da tritt sie schaffensfroh
auf den Plan; und Veranlagung, Bildung, Fleiß und Zielbewußtsein bringen
bald die Führerrolle.

„Kein Volk erreichte jemals die höheren Stufen der Kunst, außer zu einem
Zeitpunkte, wo seine Zivilisation von häufigen, ungestümen und selbst unge-
heuerlichen Verbrechen geschändet wurde." John Ruskin schrieb das Wort. —
Hatte er recht, sind dann nicht alle Vorzeichen da, die den Umschwung, die
neue Zeit auch in der Kunst künden sollen ? Nun, dann auf zur Tat, auf zum
 
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