Engagement bei der VOSSISCHEN ZEITUNG besaß allerdings andere Dimensio-
nen: Scheffler schrieb allein bis zu Beginn der zwanziger Jahre an die dreihun-
dert Beiträge für das Blatt, erheblich mehr als zuvor für den Tag.
Die seit 1617 bestehende VOSSISCHE ZEITUNG* * * * * 49 war das traditionelle Stamm-
blatt des liberalen Berliner Bürgertums. Auch die Kritik hatte hier eine altehr-
würdige Tradition, so war etwa zwischen 1870 und 1889 Theodor Fontane als
Theaterkritiker für die Zeitung tätig gewesen. Als Scheffler zu ihr stieß, stand
die Sanierung des in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Fossils kurz be-
vor. Zur Jahreswende 1913/14 erwarb der mächtige Ullstein-Konzern das Blatt,
welcher zusammen mit den Zeitungskonzemen von Scherl und Mosse eine
Trias bildete, die die Berliner Presse fest in Händen hielt. Die VOSSISCHE verlor
auf diese Weise ihre Unabhängigkeit, doch verzeichnete sie in den folgenden
Jahren rasch steigende Auflagenzahlen und konnte sich als dritte im Bunde der
drei großen liberalen deutschen Zeitungen neben dem BERLINER TAGEBLATT
und der FRANKFURTER ZEITUNG behaupten.
Die Eeitung des Ressorts Kunst im Feuilleton der VOSSISCHEN ZEITUNG ist ein
höchst aufschlußreiches Kapitel. Sie belegt die spöttische Bemerkung des Pu-
blizisten Kurt Hiller, der einmal scherzhaft anmerkte, »es scheint in Deutsch-
land Vorschrift zu sein, daß linksliberale Zeitungen ein konservatives Feuille-
ton haben«.50
Von 1864 bis zu seinem Tod im Jahr 191151 hatte Eudwig Pietsch als ständi-
ger Referent das Ressort Kunst der VOSSISCHEN ZEITUNG geleitet. Von ihm
übernahm Scheffler das Amt, der es anscheinend bis 1919 inne hatte, bevor Max
Osborn zuständiger Kunstreferent wurde. Diese personelle Abfolge wäre mit
der Bezeichnung »liberal«, wie sie üblicherweise zur Kennzeichnung der VOSSI-
SCHEN ZEITUNG Verwendung findet, ganz und gar falsch charakterisiert. Sie ist
vielmehr Indiz für ein Interessen- und Meinungsspektrum, das von der politi-
auf die Ausrichtung, sondern auf ein gestalterisches Detail bezog: Die Zeitung bestand aus
zwei Teilen: dem morgens und abends erscheinenden Nachrichtenteil (dem sogenannten
»schwarzen Tag«) sowie dem einmal täglich erscheinenden illustrierten Teil (dem sogenann-
ten »roten Tag«, auch als »kritischer Teil« bezeichnet), dessen Schriftzug in leuchtend roter
Farbe gedruckt war.
49 Zur VOSSISCHEN ZEITUNG: Max Osborn: Die Vossische Zeitung seit 1904, in: Ders. (Hrsg.): 50
Jahre Ullstein 1877-1927, Berlin 1927; Klaus Bender: Vossische Zeitung (1617-1934), in: Fischer:
Deutsche Zeitungen (op. cit.); Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin (op. cit.), S. 161ff.; ferner ist
hier von Interesse die Selbstdarstellung: Die Kriegspolitik der Vossischen Zeitung, Berlin
1919.
50 Glückwunschadresse Kurt Hillers (und anderer), in: Jubiläumsausgabe des Berliner Börsen-
Courier vom 1.10.1918; zit. nach Ulla C. Lerg-Kill: Berliner Börsen-Courier, in: Fischer: Deut-
sche Zeitungen, (op. cit.).
51 In der Forschungsliteratur geistern noch immer verschiedene biographische Daten zu
Pietsch umher. Die hier angeführten Daten nach Osborn: Die Vossische Zeitung seit 1904 (op.
cit.), S. 231 dürften verläßlich sein.
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nen: Scheffler schrieb allein bis zu Beginn der zwanziger Jahre an die dreihun-
dert Beiträge für das Blatt, erheblich mehr als zuvor für den Tag.
Die seit 1617 bestehende VOSSISCHE ZEITUNG* * * * * 49 war das traditionelle Stamm-
blatt des liberalen Berliner Bürgertums. Auch die Kritik hatte hier eine altehr-
würdige Tradition, so war etwa zwischen 1870 und 1889 Theodor Fontane als
Theaterkritiker für die Zeitung tätig gewesen. Als Scheffler zu ihr stieß, stand
die Sanierung des in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Fossils kurz be-
vor. Zur Jahreswende 1913/14 erwarb der mächtige Ullstein-Konzern das Blatt,
welcher zusammen mit den Zeitungskonzemen von Scherl und Mosse eine
Trias bildete, die die Berliner Presse fest in Händen hielt. Die VOSSISCHE verlor
auf diese Weise ihre Unabhängigkeit, doch verzeichnete sie in den folgenden
Jahren rasch steigende Auflagenzahlen und konnte sich als dritte im Bunde der
drei großen liberalen deutschen Zeitungen neben dem BERLINER TAGEBLATT
und der FRANKFURTER ZEITUNG behaupten.
Die Eeitung des Ressorts Kunst im Feuilleton der VOSSISCHEN ZEITUNG ist ein
höchst aufschlußreiches Kapitel. Sie belegt die spöttische Bemerkung des Pu-
blizisten Kurt Hiller, der einmal scherzhaft anmerkte, »es scheint in Deutsch-
land Vorschrift zu sein, daß linksliberale Zeitungen ein konservatives Feuille-
ton haben«.50
Von 1864 bis zu seinem Tod im Jahr 191151 hatte Eudwig Pietsch als ständi-
ger Referent das Ressort Kunst der VOSSISCHEN ZEITUNG geleitet. Von ihm
übernahm Scheffler das Amt, der es anscheinend bis 1919 inne hatte, bevor Max
Osborn zuständiger Kunstreferent wurde. Diese personelle Abfolge wäre mit
der Bezeichnung »liberal«, wie sie üblicherweise zur Kennzeichnung der VOSSI-
SCHEN ZEITUNG Verwendung findet, ganz und gar falsch charakterisiert. Sie ist
vielmehr Indiz für ein Interessen- und Meinungsspektrum, das von der politi-
auf die Ausrichtung, sondern auf ein gestalterisches Detail bezog: Die Zeitung bestand aus
zwei Teilen: dem morgens und abends erscheinenden Nachrichtenteil (dem sogenannten
»schwarzen Tag«) sowie dem einmal täglich erscheinenden illustrierten Teil (dem sogenann-
ten »roten Tag«, auch als »kritischer Teil« bezeichnet), dessen Schriftzug in leuchtend roter
Farbe gedruckt war.
49 Zur VOSSISCHEN ZEITUNG: Max Osborn: Die Vossische Zeitung seit 1904, in: Ders. (Hrsg.): 50
Jahre Ullstein 1877-1927, Berlin 1927; Klaus Bender: Vossische Zeitung (1617-1934), in: Fischer:
Deutsche Zeitungen (op. cit.); Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin (op. cit.), S. 161ff.; ferner ist
hier von Interesse die Selbstdarstellung: Die Kriegspolitik der Vossischen Zeitung, Berlin
1919.
50 Glückwunschadresse Kurt Hillers (und anderer), in: Jubiläumsausgabe des Berliner Börsen-
Courier vom 1.10.1918; zit. nach Ulla C. Lerg-Kill: Berliner Börsen-Courier, in: Fischer: Deut-
sche Zeitungen, (op. cit.).
51 In der Forschungsliteratur geistern noch immer verschiedene biographische Daten zu
Pietsch umher. Die hier angeführten Daten nach Osborn: Die Vossische Zeitung seit 1904 (op.
cit.), S. 231 dürften verläßlich sein.
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