hat das Interesse an experimentalpsychologischen Fragestellungen deutliche
Spuren hinterlassen. Ästhetisch-normative Konzepte wies Endell zurück, um
statt dessen eine unmittelbare Wirkung sinnlicher Formen auf das menschliche
Empfindungsvermögen zu postulieren. Seiner Ansicht nach ließen sich Funkti-
on und Bedeutung der Kunst im Kern auf das Wachrufen von Gefühlswirkun-
gen mit Hilfe von Form und Farbe zurückführen.* * * * * * * * * 34
Diese Überlegungen konkretisierten sich in dem Versuch zur Formulierung
einer Elementarästhetik der Linie, welche zur Begründung einer praktischen
Ästhetik des Ornaments und damit - wie Endell meinte - zu einer neuen, von
allen historischen Stilen emanzipierten >Formkunst< beitragen sollte.
Enthusiastisch hatte Endell 1898 in der Zeitschrift DEKORATIVE KUNST er-
klärt, »daß wir nicht nur im Anfang einer neuen Stilperiode, sondern zugleich
im Beginn der Entwicklung einer ganz neuen Kunst stehen, der Kunst, mit
Formen, die nichts bedeuten und nichts darstellen und an nichts erinnern, un-
sere Seele so tief, so stark zu erregen, wie es nur immer die Musik mit Tönen
vermag.«35 Wie Endell dar legte, sollte die ornamentale Form ohne Dazwischen-
treten des Intellekts das Gemüt des Betrachters affizieren. Endell beschrieb da-
zu eindringlich die Wirkung verschiedener Linienarten:
des Kunsterlebnisses verstanden werden muß. Vgl. dazu Schneider: Ästhetik, S. 134ff. -
Lipps' Hauptwerks (»Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst«), indem er seine
»Einfühlungsästhetik« breit darlegte, erschien aber erst 1903/05. In frühen Werken wie »Äs-
thetische Faktoren der Raumanschauung« (1891) oder »Raumästhetik und geometrisch-
optische Täuschungen« (1897) hatte auch Lipps experimentell nachprüfbare Fragen diskutiert.
- Endell zeigte sich an Lipps' psychologischer Ästhetik außerordentlich interessiert und plan-
te sogar eine Zeitlang, bei ihm über »Gefühlstheorie« zu promovieren. Vgl. August Endell:
Vom Sehen. Texte 1896-1925 über Architektur, Formkunst und die »Schönheit der großen
Stadt«, hrsg. von Helge David, Berlin etc. 1995, bes. S. 16.
34 Bereits in einem Text von 1896 vertrat Endell die Idee der Elementarästhetik, wenn er die
emotionalen Wirkungen von Formen und Farben als Kern der Kunst erklärte: »Das Material
des bildenden Künstlers ist Form und Farbe. Beide rufen wie alle Dinge, die bewußt werden,
in uns bestimmte Gefühle hervor und zwar ruft jede Farbe und jede Form bei allen Menschen
das gleich Gefühl wach (...) Diese Gefühlswirkung der Formen und Farben ist allen geläufig,
wir sagen, sie haben einen bestimmten Charakter, und sprechen von düsteren Farben, von
zierlichen, anmutigen Formen u.s.w.«. August Endell: Um die Schönheit. Eine Paraphrase
über die Münchner Kunstausstellungen 1896, München 1896, S. 19; hier zit. nach Endell: Vom
Sehen (op. cit.), S. 19.
35 August Endell: Formenschönheit und dekorative Kunst, in: Dekorative Kunst, Jg. 1,
1897/98, H. 2 (Nov. 1897), S. 75-77; Jg. 2, 1898, H. 9 (Juni 1898), S. 119-125; hier zit. nach En-
dell: Vom Sehen (op. cit.), S. 147. - Die als Projekt formulierte Vorstellung, daß mit Mitteln der
linearen Formgebung eine der Musikästhetik vergleichbare, vorhersagbare elementare Ge-
mütswirkung affiziert werden könne, findet sich übrigens auch bei Scheffler (Meditationen
über das Ornament, B.1901/11, S. 398) und zwar unter Verweis auf Hermann von Helmoltz,
dessen »Lehre von den Tonempfindungen« sich diese Vorstellung sicherlich verdankt.
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Spuren hinterlassen. Ästhetisch-normative Konzepte wies Endell zurück, um
statt dessen eine unmittelbare Wirkung sinnlicher Formen auf das menschliche
Empfindungsvermögen zu postulieren. Seiner Ansicht nach ließen sich Funkti-
on und Bedeutung der Kunst im Kern auf das Wachrufen von Gefühlswirkun-
gen mit Hilfe von Form und Farbe zurückführen.* * * * * * * * * 34
Diese Überlegungen konkretisierten sich in dem Versuch zur Formulierung
einer Elementarästhetik der Linie, welche zur Begründung einer praktischen
Ästhetik des Ornaments und damit - wie Endell meinte - zu einer neuen, von
allen historischen Stilen emanzipierten >Formkunst< beitragen sollte.
Enthusiastisch hatte Endell 1898 in der Zeitschrift DEKORATIVE KUNST er-
klärt, »daß wir nicht nur im Anfang einer neuen Stilperiode, sondern zugleich
im Beginn der Entwicklung einer ganz neuen Kunst stehen, der Kunst, mit
Formen, die nichts bedeuten und nichts darstellen und an nichts erinnern, un-
sere Seele so tief, so stark zu erregen, wie es nur immer die Musik mit Tönen
vermag.«35 Wie Endell dar legte, sollte die ornamentale Form ohne Dazwischen-
treten des Intellekts das Gemüt des Betrachters affizieren. Endell beschrieb da-
zu eindringlich die Wirkung verschiedener Linienarten:
des Kunsterlebnisses verstanden werden muß. Vgl. dazu Schneider: Ästhetik, S. 134ff. -
Lipps' Hauptwerks (»Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst«), indem er seine
»Einfühlungsästhetik« breit darlegte, erschien aber erst 1903/05. In frühen Werken wie »Äs-
thetische Faktoren der Raumanschauung« (1891) oder »Raumästhetik und geometrisch-
optische Täuschungen« (1897) hatte auch Lipps experimentell nachprüfbare Fragen diskutiert.
- Endell zeigte sich an Lipps' psychologischer Ästhetik außerordentlich interessiert und plan-
te sogar eine Zeitlang, bei ihm über »Gefühlstheorie« zu promovieren. Vgl. August Endell:
Vom Sehen. Texte 1896-1925 über Architektur, Formkunst und die »Schönheit der großen
Stadt«, hrsg. von Helge David, Berlin etc. 1995, bes. S. 16.
34 Bereits in einem Text von 1896 vertrat Endell die Idee der Elementarästhetik, wenn er die
emotionalen Wirkungen von Formen und Farben als Kern der Kunst erklärte: »Das Material
des bildenden Künstlers ist Form und Farbe. Beide rufen wie alle Dinge, die bewußt werden,
in uns bestimmte Gefühle hervor und zwar ruft jede Farbe und jede Form bei allen Menschen
das gleich Gefühl wach (...) Diese Gefühlswirkung der Formen und Farben ist allen geläufig,
wir sagen, sie haben einen bestimmten Charakter, und sprechen von düsteren Farben, von
zierlichen, anmutigen Formen u.s.w.«. August Endell: Um die Schönheit. Eine Paraphrase
über die Münchner Kunstausstellungen 1896, München 1896, S. 19; hier zit. nach Endell: Vom
Sehen (op. cit.), S. 19.
35 August Endell: Formenschönheit und dekorative Kunst, in: Dekorative Kunst, Jg. 1,
1897/98, H. 2 (Nov. 1897), S. 75-77; Jg. 2, 1898, H. 9 (Juni 1898), S. 119-125; hier zit. nach En-
dell: Vom Sehen (op. cit.), S. 147. - Die als Projekt formulierte Vorstellung, daß mit Mitteln der
linearen Formgebung eine der Musikästhetik vergleichbare, vorhersagbare elementare Ge-
mütswirkung affiziert werden könne, findet sich übrigens auch bei Scheffler (Meditationen
über das Ornament, B.1901/11, S. 398) und zwar unter Verweis auf Hermann von Helmoltz,
dessen »Lehre von den Tonempfindungen« sich diese Vorstellung sicherlich verdankt.
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