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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 1.1897-1899

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1. Heft
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Boeheim, Wendelin: Vortrag des 2. Vorsitzenden, Custos Wendelin Boeheim, in der Versammlung des Vereins für historische Waffenkunde: im Vortragssaale des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie am 5. Juli 1896
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2

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

I. Band.

Vortrag des II. Vorsitzenden, Custos Wendelin Boeheim, in der Versammlung
des Vereins für historische Waffenkunde
im Vortragssaale des Oesterreichischen Museums für Kunst und Industrie am 5. Juli 1896.

Es entspricht dem allgemeinen Wesen der vor-
schreitenden Cultur, dass sich jede Wissenschaft von
den unscheinbarsten Anfängen an allmählich erweitert
und vertieft. Jedes kleinste Ding, das wir uns be-
streben, nach allen Richtungen in seiner Wesenheit
zu untersuchen, erfordert eine Unsumme von Kennt-
nissen der verschiedensten Art, um es zu erkennen,
zu würdigen, zu benützen.
So ist auch die historische Wissenschaft aus dem
Bannkreise, den ihr einst das politische Leben ge-
zogen hatte, längst hinausgeschritten und hat sich
über das gesammte culturelle Leben verbreitet. Aber
jede Geschichte hat es mit einwirkenden moralischen
und physischen Kräften zu thun, die die Thatsachen
geschaffen haben, ohne deren ausreichende Kennt-
niss unmöglich ein Geschehniss verstanden und ge-
würdigt werden kann. Diese Erfahrung hat zunächst
zur Specialisirung der Geschichtswissenschaft geleitet;
die Einzelheiten, sie trennen sich von dem Kerne
des Universalen ab und werden zu selbständigen
Forschungsgebieten, ihre Kenntniss bildet die Vor-
bedingung für das richtige Erfassen der Gesammt-
geschichte, sie sind die Steine für den gewaltigen
Bau. Mögen noch heute einzelne Universalhistorio-
graphen dieser Richtung der Wissenschaft mit ge-
ringen Sympathien gegenüberstehen: die Strömung
ist nicht aufzuhalten; sie wird durch die Logik ge-
leitet, und diese ist immer eine unbesiegbare Kraft.
Man kann nicht sagen, die Specialisirung sei
etwas künstlich Gemachtes, ein Werk von seichten
Strebern, um sich auf billige Weise Lorbeeren um
das Haupt zu winden, denn sie ist aus anscheinend
geringfügigen Anlässen entstanden und hat allmählich
zwingender zu der Erkenntniss geführt, dass alles
Wissen nur Halbheit ohne die Kenntniss der Ele-
mente ist.
In der historischen Wissenschaft finden wir deut-
liche Anzeichen eines Strebens nach der Kenntniss
der Einzelheiten schon bei den Römern, ja selbst
bei den älteren Griechen, — man denke da nur an die
Anabasis, — aber diese Regung wurde zurückgedämmt,
und es machte sich vom Mittelalter an ein rücksichts-
loser Doctrinarismus breit, mit dem wir gezwungen
wurden, die Vergangenheit in ihrer Unsumme von
Ursachen und Wirkungen auf Treu und Glauben hin-
zunehmen, ohne dass uns Mittel geboten gewesen
wären, diese auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Wir haben die Schilderungen Tausender von
Kriegsereignissen in stiller Gläubigkeit hingenommen,
Schlachten und Gefechte von einschneidendster Be-
deutung im politischen Leben sind vor unseren stau-
nenden Augen vorübergezogen ; über die eigentlichen
Ursachen des Ausgangs derselben sind uns nur höchst
mangelhafte strategische und noch dürftigere taktische

Belege dazu beigebracht worden, und die Bewaffnung
und deren Verhältniss zur eigenen Taktik im Ent-
gegenhalte zu jener des Gegners, so überaus wichtig
für den Erfolg oder Misserfolg eines Kriegsunter-
nehmens, ist bisher gar nicht oder nur laienhaft auf-
gefasst in die Rechnung einbezogen worden.
So ist plötzlich das Werkzeug des Krieges: die
Waffe, diese ultima ratio hominis, als ein überaus
wichtiger Gegenstand, als ein Factor von hoher Be-
deutung in der Geschichte hervorgetreten, und in dem
Augenblicke, als man sich, zuerst in der neueren
Kriegsgeschichte, mit ihr zu beschäftigen begann, fiel
es wie Schuppen von den Augen. Man ersah zum
Staunen, dass dieses einfache Werkzeug ja auch nach
vielen anderen Richtungen hin eine hohe Beachtung
verdiene, dass es in Beziehung auf seine technische
Herstellung, seine mechanischen Einrichtungen, seine
Form und Anwendung, seine Schule und seine Meister
zu erforschen, dass es an sich ein mehr oder weniger
werthvolles Kunstwerk sei, und dass es vor Allem
verdiene, in der Culturgeschichte und insbesondere in
der Geschichte der Arbeit eine hervorragende Rolle
zu spielen.
Man würde irren, wollte man annehmen, dass
die alte Waffe an sich seit früherer Zeit her nicht
ein Gegenstand der vollsten Aufmerksamkeit gewesen
sei; im Gegentheile, die Erinnerung an die einstige
Bedeutung derselben bis in die tiefsten Schichten der
menschlichen Gesellschaft hinein hatte ihr von alter
Zeit her eine Art scheuer Bewunderung gesichert, die
an Verehrung grenzte. Aber diese Beachtung war eine
nichts weniger als wissenschaftliche. Der epische Zug
im Volke bis an den Schluss des 17. Jahrhunderts
liess das ernste Werkzeug der Vorzeit nicht anders
auffassen als den Ueberrest einer geträumten glor-
reichen Heldenzeit im Gegensätze zur schal erschei-
nenden Gegenwart. Hing auch an so manchem Stücke
die Erinnerung an eine bestimmte Persönlichkeit oder
an eine feststehende historische Thatsache, so schien
das eine oder das andere doch nur dazu da, um das-
selbe mit einem heiligen Nimbus zu umkleiden und
keineswegs, um daraus irgend eine Belehrung zu
schöpfen.
Diese Anschauung spricht sich in zahlreichen
einzelnen Beispielen aus: König Maximilian I. sendet
dem Erzherzoge Sigismund von Tirol aus Linz am
16. Jänner 1491 ein Schwert des Königs Mathias Cor-
vinus von Ungarn und verspricht ihm auch eine
Kanone desselben. Kaiser Karl V. sendet seinem
Bruder Erzherzog Ferdinand (I.) 1521 eine Streitaxt
Montezuma’s, Erzherzog Ferdinand von Tirol seinem
Bruder Maximilian II. den Säbel Skanderbeg’s, La-
zarus Schwendi dem Erzherzoge Ferdinand von Tirol
die Waffen des bei Rima-Szombat 1566 gefallenen
 
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