Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 2.1900-1902

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Boeheim, Wendelin: Die Rüstkammer der Stadt Emden, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37716#0107
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

93

auf, wo Waffensammlungen der unbeschränkten
Aufsicht «erfahrener Zeugwarte» überlassen wurden.
Ich kannte ein Zeughaus, in welchem noch vor
50 Jahren die Plattenharnische (!) Rudolfs von
Habsburg, Attilas, des Königs Mathias Corvinus,
der Libussa und ihrer Gürtelmagd Wlasta etc. vor-
gezeigt wurden.
Hochinteressant erscheint die Rüstkammer in
technisch-historischer Richtung, ja man kann nur
in ihr allein Belehrung über den Stand der Ent-
wickelung des Waffenwesens Norddeutschlands und
der Niederlande und nicht zum wenigsten der
deutschen Hansastädte, von etwa 1550 an gerechnet,
schöpfen. In den Harnischen treffen wir neben der
sächsischen Schule jene stark irn Rückgänge be-
griffene <niederländische » aus Antwerpen und
Brüssel. Vereinzelt tritt die Nürnberger Schule
auf. In Schwertern dürfte die Stadt ausnahmslos
ihren Bedarf in Solinger Ware, wenn auch im
Zwischenhandel über Essen, Wesel etc., gedeckt
haben. In Stangenwaffen ist zumeist nur nieder-
länder Ware zu erblicken; das betrifft vornehmlich
die gewissen in den Beilen zierlich durchbrochenen
Helmbarten, die in anderweitigen Inventaren be-
zeichnend: «Niederländer Helleparten» genannt
werden. In Feuergewehren, Musketen, Pistolen etc.
dürfte sich der Bezug dieser Massenware aus Suhl im
Hennegau und Lüttich bestimmt erweisen. Die
Zierwaffen aber sind durchweg oberdeutscher Her-
kunft. Die Fabrik- und Meistermarken bieten uns
da heute unanfechtbare Beweismittel.
Die fachlich gebildete Persönlichkeit, welcher
einst die schwierige Aufgabe zufallen wird, die
Sammlung aus dem chaotischen Zustande zu erheben
und nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu ordnen,
wird zu allererst die Ausrüstungen für den Gebrauch
zur See von jenen für den Dienst zu Lande syste-
matisch trennen müssen. Erst diese Scheidung, zum
erstenmale zum sichtbaren Ausdruck gebracht, wird
eine richtige Einteilung des Materials im einzelnen
ermöglichen. Dann wird sich auch ei geben, welchen
hohen kriegsgeschichtlichen Wo! dieser Besitz für
sich in Anspruch nehmen kann; eine Sammlung von
Beweismitteln zur Kriegsgeschichte, wie sie unmittel-
barer und lückenloser nirgends zu finden ist. Ein j
eingehendes Studium wird auch die Kardinalfrage
lösen, ob und inwieweit die Kollektion ihren alten
Charakter als «Rüstkammer iu einem neuen modernen
Heim bewahr n könne und ob dieselbe nicht ganz von
selbst zur modernen Wafftnsammlung sich umge-
stalten wird die nach allen Lebensgebieten hin eine
Aufgabe zu erfüllen hat.
Dieser überreiche, in seinem vollen Werte heule
kaum festzustellende museale Besitz1) befindet sich
*) Ansser der hier geschilderten «Rüstkammer» besitzt die
Stadt eine zwar kleine, aber erlesene Sammlung von Silbergegen-
ständen, die unter der Bezeichnung der «Emder Silberschatz»
bekannt ist. Sie bestellt aus künstlerisch sehr wertvollen Gedenk-
stücken aus der Zeit des kommerziellen Aufschwunges der Stadt

in einer kleinen Stadt des Deutschen Reiches mit
14800 Einwohnern, die sich durch ihre maritime Lage
vor Pflichten gegen den Gesamtstaat wie gegen sich
selbst gestellt sieht, die mit den bescheidenen
Kräften der Bewohnerschaft weit nicht im Verhält-
nisse stehen. Seit dem entsetzlichen Tage des
Jahres 1595, inmitten der Empörung der Bürger
gegen den Grafen Edzard II., als die Ems durch
ein furchtbares Naturereignis weit entfernt von der
Stadt in einem neuen Bette sich gewaltsam Bahn
brach und letztere vom Meere plötzlich abschloss,
begann jene schwere Zeit des maritimen Verfalls,
die ungeachtet unsagbar schwerer Geldopfer noch
heute nicht ihr Ende gefunden hat. Welche unge-
heuere Anstrengungen musste die Stadt machen,
um sich einen neuen Wasserweg nach der Meer-
bucht: «Die Knocke» zu bahnen, welche neuen,
um den Kanal den gesteigerten Anforderungen ent-
sprechend zu gestalten und zu sichern? Welche
schwere Sorge erwuchs ihr durch die bedingte
Verbindung des Hafens der Stadt mit dem Hinter-
lande, mit dem Rhein und der Weser, die nur all-
mählich hergestellt werden konnte und auf welcher
allein die maritime Entfaltung der Stadt beruht?
Noch gegenwärtig trägt die kleine Stadt die über-
schwere Last von drei Millionen Mark Schulden, und
auch das genügte bis jetzt noch nicht, um den
i Glanz Alt-Emdens wieder herzustellen, es wieder ein-
| zufügen in den herrlichen Perlcnkranz der deutschen
Seestädte. Diese schwere Erhaltungspflicht lässt es
begreiflich erscheinen, wenn der Stadt für ihre
geistigen Bedürfnisse keine Mittel übrig bleiben. Sie
ist da weit übler daran, wie manche einst unbe-
deutende Binnenstadt, die durch die Gunst der
Verhältnisse in der Neuzeit ganz kostenlos zum
Knotenpunkte des regsten Eisenbahnverkehrs ge-
worden ist.
Wenn alle Umstände, welche ich im vorher-
gehenden dargelegt habe, voll gewürdigt werden,
dann werden auch der bedrängten Stadt von Seite
der Regierung die Mittel geboten werden, um ihre
unschätzbare «Rüstkammer» in eine würdigere und
sicherere Bewahrung zu bringen; in einem, wenn
auch einfachen, doch zweckentsprechenden neuen
Museumsgebäude wissenschaftlich geordnet und auf-
im 17. Jahrhundert und ist zwar in einer Abhandlung: «Der Emder
Silberschatz» von Ingenieur E. Starcke und Gymnasial-Oberlehrer
Dr. Kohlmann in dem Jahrbuche der Gesellschaft für bildende
Kunst und vaterländische Altertümer IV. Band beschrieben, noch
keineswegs aber kunsthistorisch beleuchtet worden. Ich halte
übrigens dafür, dass eine sorgfältige Besichtigung des Inhaltes des
Rathauses und der anderen städtischen Gebäude in Begleitung
eines erfahrenen Kunstgelehrten eine Menge künstlerisch oder
historisch wertvoller Gegenstände: Möbel, Bilder, kleinere Uten-
silien etc. zu Tage fördern würde, die ein kleines, abei interessantes
und wertvolles Lokalmuseum ausreichend zu füllen im stände wären.
Der rege lokale Patriotismus würde rasch nachfolgen, um zur
Bereicherung desselben liebreich beizutragen. Für Bildung eines
solchen kleinen, aber kostbaren Lokalmuseums fehlte nichts als ein
tüchtiger Mann.
 
Annotationen