DANIELE BARBARO
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4. Barbaro als Mäzen
Daniele Barbaro war einer der profiliertesten Mäzene im Veneto des
Cinquecento68, und seine kunsttheoretische Auseinandersetzung mit der Propor-
tion mußte daher anders aussehen als die eines autodidaktisch gebildeten
Künstlers wie Cesare Cesariano. Die Existenz zweier verschiedener Propor-
tionssysteme, von denen das eine auf metrologische Konventionen sowie deren
Berechnungsmodus und das andere auf die Musiktheorie zurückgeht, reflektiert
also die unterschiedliche Stellung und Absicht ihrer Urheber. Vitruvs Variante,
deren praktischer Ursprung von einem handwerklichen Künstler wie Cesariano
erörtert wurde, bezeichnet ein enges Verhältnis zwischen Entwurf und
Ausführung, während Barbaros Proportionstheorie den Standpunkt des
Auftraggebers wiedergibt, der seinem Architekten bedeutungsschwangere
Maßverhältnisse empfiehlt. Das Proportionssystem des beauftragenden Mäzens
repräsentiert den Anspruch des Architekturbetrachters, der neben der utilitären
und repräsentativen Aufgabe eines Gebäudes dessen ästhetischen Wert auf
seine Weise ausgedrückt sehen möchte. Dieser ästhetische Wert hängt wie im
Falle der Musik von Freude (diletto) und Gefallen (piacere)69 ab, die ihrerseits
allein durch die Proportion gewährleistet sind. Hierbei trägt der Auftraggeber
oder Mäzen die Proportion als ein theoretisches Postulat von außen an die Ar-
chitektur heran, während Architekten wie Vitruv und Cesariano, die mit ihren
Proportionsvorstellungen durchaus eine ästhetische Absicht verfolgen, jene eher
aus der praktischen Notwendigkeit heraus verstehen. Die Proportion wäre also
das Medium zwischen zwei verschiedenen Kommunikationsebenen, zwischen
dem Auftraggeber und seinem Architekten.
Das Modell zweier Mitteilungsebenen, zum einen repräsentiert durch
Cesariano und zum anderen durch Barbaro, hat allerdings nur hypothetischen
Charakter und kann lediglich dazu dienen, die unterschiedlichen Standpunkte
beider Vitruvkommentatoren zu verdeutlichen. Realistischer ist der Vergleich
zwischen Barbaro und seinem Architekten und Freund Andrea Palladio. In
dessen Falle wurde das Ideal Wirklichkeit, und der Architekt war dank seiner
intellektuellen Fähigkeiten und aufgrund seiner Assoziierung mit den
zeitgenössischen Humanisten des Veneto in der Lage, über kunsttheoretische
Programme mit seinen Auftraggebern zu kommunizieren. Das Medium dieser
Kommunikation intellektuell hervorgebrachter Vorstellungen waren
musikalisch definierte Proportionen, die wiederum, als Mittel zwischen Zweck
und Prinzip, die kunsttheoretische Vorstellung von der wesenhaften Form
operabel machten (s.o.). Barbaro erlebte die Erfüllung seines Ideals in der
Person Andrea Palladios, der nach dem Erscheinen des Vitruvkommentars die
dort entwickelten Proportionen tatsächlich häufiger anwandte als vorher.70
Barbaros Proportionsbegriff basiert auf der Vorstellung, daß zwischen
Auftraggeber und Architekt insofern eine Zusammenarbeit besteht, als eine
68 Zu Barbaro als Mäzen vgl. R. COCKE, Veronese and Daniele Barbaro: The Decoration of Villa
Maser, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 35.1972, S.226-246; D. LEWIS,
Patterns of Preference: Patronage of Sixteenth-Century Architects by the Venetian Patriciate, in:
Patronage in the Renaissance, hrsg. v. G. F. Lytle und S. Orgel, Princeton 1981, S.354-380, bes.
S.370-374.
69 Ebd., S.97 (vgl. Anm. 56).
70 Vgl. D. HOWARD/M. LONGAIR, Harmonie Proportion and Palladio's Quattro Libri, in:
Journal of the Society of Architectural Historians 41.1982, S.116-143.
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4. Barbaro als Mäzen
Daniele Barbaro war einer der profiliertesten Mäzene im Veneto des
Cinquecento68, und seine kunsttheoretische Auseinandersetzung mit der Propor-
tion mußte daher anders aussehen als die eines autodidaktisch gebildeten
Künstlers wie Cesare Cesariano. Die Existenz zweier verschiedener Propor-
tionssysteme, von denen das eine auf metrologische Konventionen sowie deren
Berechnungsmodus und das andere auf die Musiktheorie zurückgeht, reflektiert
also die unterschiedliche Stellung und Absicht ihrer Urheber. Vitruvs Variante,
deren praktischer Ursprung von einem handwerklichen Künstler wie Cesariano
erörtert wurde, bezeichnet ein enges Verhältnis zwischen Entwurf und
Ausführung, während Barbaros Proportionstheorie den Standpunkt des
Auftraggebers wiedergibt, der seinem Architekten bedeutungsschwangere
Maßverhältnisse empfiehlt. Das Proportionssystem des beauftragenden Mäzens
repräsentiert den Anspruch des Architekturbetrachters, der neben der utilitären
und repräsentativen Aufgabe eines Gebäudes dessen ästhetischen Wert auf
seine Weise ausgedrückt sehen möchte. Dieser ästhetische Wert hängt wie im
Falle der Musik von Freude (diletto) und Gefallen (piacere)69 ab, die ihrerseits
allein durch die Proportion gewährleistet sind. Hierbei trägt der Auftraggeber
oder Mäzen die Proportion als ein theoretisches Postulat von außen an die Ar-
chitektur heran, während Architekten wie Vitruv und Cesariano, die mit ihren
Proportionsvorstellungen durchaus eine ästhetische Absicht verfolgen, jene eher
aus der praktischen Notwendigkeit heraus verstehen. Die Proportion wäre also
das Medium zwischen zwei verschiedenen Kommunikationsebenen, zwischen
dem Auftraggeber und seinem Architekten.
Das Modell zweier Mitteilungsebenen, zum einen repräsentiert durch
Cesariano und zum anderen durch Barbaro, hat allerdings nur hypothetischen
Charakter und kann lediglich dazu dienen, die unterschiedlichen Standpunkte
beider Vitruvkommentatoren zu verdeutlichen. Realistischer ist der Vergleich
zwischen Barbaro und seinem Architekten und Freund Andrea Palladio. In
dessen Falle wurde das Ideal Wirklichkeit, und der Architekt war dank seiner
intellektuellen Fähigkeiten und aufgrund seiner Assoziierung mit den
zeitgenössischen Humanisten des Veneto in der Lage, über kunsttheoretische
Programme mit seinen Auftraggebern zu kommunizieren. Das Medium dieser
Kommunikation intellektuell hervorgebrachter Vorstellungen waren
musikalisch definierte Proportionen, die wiederum, als Mittel zwischen Zweck
und Prinzip, die kunsttheoretische Vorstellung von der wesenhaften Form
operabel machten (s.o.). Barbaro erlebte die Erfüllung seines Ideals in der
Person Andrea Palladios, der nach dem Erscheinen des Vitruvkommentars die
dort entwickelten Proportionen tatsächlich häufiger anwandte als vorher.70
Barbaros Proportionsbegriff basiert auf der Vorstellung, daß zwischen
Auftraggeber und Architekt insofern eine Zusammenarbeit besteht, als eine
68 Zu Barbaro als Mäzen vgl. R. COCKE, Veronese and Daniele Barbaro: The Decoration of Villa
Maser, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 35.1972, S.226-246; D. LEWIS,
Patterns of Preference: Patronage of Sixteenth-Century Architects by the Venetian Patriciate, in:
Patronage in the Renaissance, hrsg. v. G. F. Lytle und S. Orgel, Princeton 1981, S.354-380, bes.
S.370-374.
69 Ebd., S.97 (vgl. Anm. 56).
70 Vgl. D. HOWARD/M. LONGAIR, Harmonie Proportion and Palladio's Quattro Libri, in:
Journal of the Society of Architectural Historians 41.1982, S.116-143.